Sound Design: „Ein Geräusch muss das Fahren erleichtern “

Volvo Car Sound Design

In der Automobilbranche ist Sound Design ein wichtiger Bestandteil der Fahrzeugentwicklung. Geräusche im und am Auto haben dabei vor allem die Aufgabe Informationen zu übermitteln. Zusätzlich sollen die Klänge das Fahrerlebnis emotional aufladen. Dieser doppelten Herausforderung stellt sich Fredrik Hagman als Interactive Sound Designer bei Volvo Cars. 

Sound Designer sind an allen Schritten der Fahrzeugentwicklung beteiligt, bei denen aktiv Sounds hinzugefügt werden sollen. Dabei steht die Usability absolut im Vordergrund. Fredrik Hagman weiß: „Ein Geräusch muss einen Nutzen bringen und das Fahren erleichtern.“ Es soll als Hilfe dienen – etwa Töne, die einen zu geringen Abstand signalisieren oder klare technische Störungsmeldungen – aber auch als natürlicher Teil des Gesamterlebnisses wahrgenommen werden. „Bringt ein Sound keinen Nutzen, bin ich der Erste, der darauf verzichtet. Denn dann wird er von unseren Kunden schnell als Belästigung erlebt.“ Hagman erläutert: „Klänge sollen als positiver und natürlicher Teil des Markenerlebnisses wahrgenommen werden. Dafür befassen wir uns zunächst mit dem Image des Fahrzeuges. Wir suchen nach Schlüsselbegriffen, die das Image am besten beschreiben und priorisieren sie. Für diese Begriffe entwickeln wir passende Sounds.“ Das können sowohl am Synthesizer produzierte Klänge sein, aber auch aufgenommene Töne aus allen möglichen Bereichen, etwa Alltagsklänge. Am Ende entsteht ein so genanntes Soundboard. Es entspricht dem Moodboard, das im visuellen Design oft Ausgangspunkt für Gestaltungsarbeiten ist. Das Ziel des Soundboards ist es, eine verbindliche Klangfarbe festzulegen, die Auto und Marke in Zukunft repräsentiert.

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Porträt

Fredrik Hagman

Fredrik Hagman (40) ist in Smaland geboren. Auch weil er sich als Musik-Liebhaber und Sänger fragte, warum man bei mancher Musik Gänsehaut bekommt, hat er Akustik studiert – vor allem Psycho- und Emo-Akustik. Nach dem Master startete er als Sound Designer bei Volvo Cars. Neugierig waren wir auf Geräusche, die er privat schätzt: die Stille des Waldes, Kinderlachen und der Klang schwedischer Fußgängerüberwege.

Aus Waldgeräuschen werden Auto-Sounds

Für Volvo kommen organische und ruhige Töne zum Einsatz. Sie bilden den markentypischen Sound und stammen unter anderem von natürlich klingenden Instrumenten und aus der Natur. So wurde ein Blinkersound aus gesampelten Geräuschen eines Tannenzweiges gestaltet. Auf diese Weise hören Volvo Fahrer die Anmutung einer echten skandinavischen Tanne. Für die Schwestermarke Polestar setzen die Sound Designer auf eine progressivere und synthetischere Soundkulisse: Hier basiert das Blinker-Geräusch auf einem Takt eines Kronecker-Synthesizers und klingt wie ein elektrischer Funke. „Damit haben wir uns weit von typischen Blinker-Sounds entfernt, was aber ganz klar zum innovativen Charakter der E-Automarke passt“, resümiert Hagman.

Entscheidend für die Bewertung von Geräuschen ist ihre Wahrnehmung. Der oft zur Beurteilung benutzte Schalldruckpegel (gemessen in Dezibel) stellt nur eine grobe Näherung an die Lautstärken Wahrnehmung dar. Zudem bedeutet eine geringe Dezibel-Zahl nicht automatisch ein akustisches Wohlbefinden. In den 1980ern hat Prof. Dr. Klaus Genuit als Pionier in der Akustikforschung Mess- und Analyseverfahren zur Bestimmung der Geräuschqualität entwickelt, die dem menschlichen Gehör entsprechen. Denn der Mensch bewertet Töne nicht logisch; das Gehör arbeitet selektiv und adaptiv. Ein Beispiel: Auch wenn ein tropfender Wasserhahn nur ein leises Geräusch erzeugt, kann es als störend empfunden werden. Daher kommen u.a. in der Automobilbranche psychoakustische Messverfahren zum Einsatz. Mit Hilfe von Parametern wie Lautheit, Schärfe oder Rauigkeit ist es möglich, Geräusche realitätsnäher zu charakterisieren und sie mit Fokus auf den Nutzer optimieren.

Fredrik Hagman und sein Team tun dies auf Basis des Soundboards für die unterschiedlichen Funktionen im und am Auto. Dafür arbeitet Hagman mit regulären Tonstudio-Apparaten, so genannten Digital Audio Workstations (DAW). Sie kommen z.B. auch bei der Nachvertonung von Filmen oder in der Musikproduktion zum Einsatz. Es gibt eine Sound-Bibliothek, in der zahlreiche Tonaufnahmen gespeichert sind. Fredrik Hagman bedient sich aus dieser Bibliothek und bearbeitet die Töne im Sinne des Soundboards weiter. Um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, kombiniert er sie mit anderen Aufnahmen sowie mit synthetischen Klängen oder vervielfacht die Töne. Sound Designer sind akribisch, wenn es um den guten Ton geht. Hagman: „Wir haben eine Mission: Dem Klang in allen Anwendungen Bedeutung verleihen. Also verbringen wir viel Zeit damit, das ideale Tempo, das optimale rhythmische Muster und die perfekte Balance zwischen allen Klängen zu finden.“ Um den Klang konsequent in ‚Echtumgebung‘ zu überprüfen, wechseln der Akustik-Profi und seine Kollegen bei der Sound-Optimierung oft zwischen DAW und Auto hin und her.

Sound Design
In der Prüfkammer des NVH-Zentrums von Volvo Cars werden die Sounds getestet. NVH steht für Noise, Vibration and Harshness, also Lärm, Vibration und Härte.

E-Mobility sorgt für neue Herausforderungen

Schritt für Schritt entstehen alle Sounds, die in einem iterativen Prozess mit den relevanten Abteilungen, wie Design und User Experience (UX), abgestimmt und verbessert werden. Die so definierten Sounds werden in das Kernsystem des Autos integriert, damit im Auto selbst, wo die Akustik der Fahrzeugkabine und des Audiosystems zum Tragen kommen, die letzte Abstimmung von Frequenzspektrum und Lautstärke vorgenommen werden kann. Dann erst wird das Sound-Paket an die Produktion übergeben. Zu beachten ist dabei: Die Außengeräusche von Autos unterliegen strengen gesetzlichen Vorgaben. Dazu zählen Geräusche der Reifen auf der Fahrbahn, des Antriebs, der Aerodynamik sowie von Türen und Hupen. Deren Lautstärke und Frequenzgehalt müssen sich in einem Normbereich bewegen. Ein weiteres Kriterium, das die Gestaltung funktionaler Klänge im Auto beeinflusst, ist die Dringlichkeit, die der Ton suggeriert. Diese messen Hagman und sein Team in
Simulatoren mit Probanden: Deren Reaktionszeit gibt Aufschluss darüber, wie dringend ein Ton wahrgenommen wird. So müssen etwa Warnhinweise dringlicher klingen als Informationshinweise. „Um Unterschiede zu erzeugen, variieren wir beispielsweise Tonhöhe und Wiederholungsfrequenz“, beschreibt Fredrik Hagman.

Auch vor dem Hintergrund gesetzlicher Vorgaben sieht Unternehmer und Stiftungsgründer Prof. Dr. Genuit die Automobilindustrie vor einer neuen akustischen Herausforderung: die E-Mobilität. Denn elektrische Antriebe produzieren kaum Eigengeräusche. Die Autos müssen mit artifiziellen Fahrgeräuschen versehen werden, damit z.B. Fußgänger das Auto sicher wahrnehmen können. „Die Hersteller wünschen sich einen individuellen Sound für ihre E-Autos. Die Blindenverbände hingegen pochen auf eindeutige Wahrnehmbarkeit und wünschen sich für alle E-Autos denselben Klang. Da
besteht noch viel Abstimmungsbedarf. Zudem soll der Sound eines Motors authentisch sein – man will kein Staubsauger-Geräusch hören, wenn man sein Auto startet. Das ausschließlich über Synthesizer zu produzieren ist eine wahre Kunst, die noch weiterentwickelt werden muss.“

 

Fotografie Copyrights: Volvo Car Group, Corporate Communications

 

Illustration Nicole Wrede

Nicole Wrede
Texterin und Beraterin