Gärtner im ewigen Eis

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Aeroponik, der Pflanzenanbau ohne Tageslicht und Erdboden in einem hermetisch abgeschlossenen Raum, könnte Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS und auf langen Mars-Missionen mit frischem Obst und Gemüse versorgen. Ein Gewächshauscontainer befindet sich im Rahmen des Projekts EDEN ISS derzeit in der Langzeiterprobung am Südpool. Mit ihm für ein Jahr im ewigen Eis ist Paul Zabel.

Inbetriebnahme Gewaechshaus

Nur 400 m lang ist der Arbeitsweg von Paul Zabel. Eigentlich ausgesprochen komfortabel, wenn diese 400 m nicht in der Antarktis lägen! „Bei gutem Wetter schaffe ich den Weg in sieben bis acht Minuten“, sagt er, „aber bei schlechtem dauert es um einiges länger“. Bevor er sich auf den Weg macht, sind akribische Vorbereitungen nötig: Anlegen des antarktisgerechten Schutzanzugs, Griff zum Funkgerät und vor allem zur speziell getönten Sonnenbrille und zur Sonnencreme. Denn selbst bei starker Bewölkung ist die UV­ Einstrahlung hier, knapp 2.000 km vom geografschen Südpol entfernt, gefährlich hoch.

Bis Ende des Jahres ist der Arbeitsplatz des Luft­ und Raumfahrtingenieurs ein 12 m langer Schiffscontainer nahe der NeumayerStation III, die das Alfred ­Wegener ­Institut für Polar­ und Meeresforschung seit 2009 im Norden der Antarktis an der Atka­Bucht betreibt. Im antarktischen Sommer arbeiten in der Station bis zu 50 Menschen, im Winter von März bis September hält eine Besatzung von 10 Personen die Stellung. Zu diesen gehört nun auch Paul Zabel, der um die Jahreswende 2017/18 mit drei Kollegen und dem in Bremen vorbereiteten Gewächshaus die Antarktis erreichte. Bis Mitte Februar nahmen sie die Funktionen wie Klimatisierung, Beleuchtung, Nährstoffversorgung und Datenübertragung zum Steuerungscomputer in der Neumayer­ Station Schritt für Schritt in Betrieb. Vor Einbruch des Südwinters reiste das Team ab und überließ Zabel die operative Verantwortung in diesen dunklen Monaten, in denen 73 Tage lang absolute Finsternis herrscht. Doch die Einsamkeit ist für ihn kein Problem: „Um mich herum habe ich hier hilfsbereite Mitmenschen, die Station bietet etliche Annehmlichkeiten und ist über eine Satellitenleitung gut ans Internet angebunden. Telefonate mit Kollegen und Freunden sind meist problemlos möglich.“

Die Bedingungen, unter denen Zabel derzeit lebt und arbeitet, sind so ungewöhnlich wie seine Aufgabe: Der Ingenieur betätigt sich als Gärtner. Denn der Schiffscontainer ist ein autarkes Gewächshaus, in dem er frisches Gemüse für die Stations­Crew ernten soll. Vor allem aber geht es darum, die Technologien für den Pflanzenanbau unter künstlichen Bedingungen zu optimieren. Die Langzeiterprobung am Südpol ist Teil des von der Europäischen Kommission mit 4,5 Mio. € geförderten internationalen Projekts EDEN ISS, an dem 14 Partner aus 8 Ländern teilnehmen. Ziel ist es, Pflanzenzuchtkammern zu konzipieren, die Astronauten auf lang andauernden Raummissionen versorgen können. 4 bis 5 kg frisches Gemüse pro Woche lautet das selbst gesteckte Ziel fürs Erste.

Auf seine Rolle als Gärtner im ewigen Eis hat sich Zabel gründlich vorbereitet. Am Deutschen Zentrum für Luft­ und Raumfahrt (DLR) ist er Mitglied der 2011 gegründeten Forschungsgruppe EDEN. Sein Fachgebiet sind Lebenserhaltungssysteme für die bemannte Raumfahrt. In den letzten zwei Jahren hat er sich auf die Entwicklung von Pflanzenanbausystemen zur Nahrungsproduktion während solcher Missionen spezialisiert. Im Bremer DLR­Labor züchtete der 30­Jährige Salate, Spinat, Kräuter, Gurken, Tomaten und Paprika und studierte die Bedingungen, unter denen sich möglichst viel Nahrung auf kleinstem Raum bei niedrigstem Energiebedarf produzieren lässt. An der niederländischen Universität Wageningen, die Europas führende Forschungseinrichtung auf den Gebieten Nahrungsproduktion und Pflanzenkultivierung betreibt, erhielt er einen Crashkurs in professionellem Obst­ und Gemüseanbau in Gewächshäusern. „Denn während des Studiums gehörte das auch nicht entfernt zu meinen Lehrfä­chern“, erklärt Zabel fast entschuldigend. Nicht zuletzt werden ihm ein Überlebenstraining in den Alpen, ein Brandbekämpfungstraining und Seminare zur Technik der Neumayer­Station helfen, wohlbehalten die Herausforderungen seines außergewöhnlichen Arbeitsplatzes zu bewältigen.


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Was ist das Besondere am Arbeitsplatz in der Antarktis? „Alle unabhängigen technischen, biologischen und chemischen Systeme fein aufeinander abzustimmen, damit die Pflanzen gedeihen, ist die eigentliche Herausforderung. Ich werde in diesem Jahr viel über Aeroponik lernen – aber auch über mich selbst!

Über Monate isoliert von der Außenwelt

Der Grund für die besondere Standortwahl des Projektes liegt für Paul Zabel auf der Hand: „Es gibt keinen besseren Ort auf der Erde, um das Versorgungsszenario einer bemannten Marsmission realitätsnah zu simulieren.“ In der Tat ähneln Besatzungsgröße und Rahmenbedingungen denen im All. Die antarktischen Überwinterer leben über Monate isoliert von der Außenwelt und sind ganz auf die Technik ihrer Station und die mitgeführten Vorräte und Hilfsmittel angewiesen. Die notwendige Logistik ist wichtiger Teil des Experiments: Jedes Ersatzteil, jedes Werkzeug, alle für den Betrieb notwendigen Mittel müssen gut geplant werden.

Die bei EDEN ISS angewandte Methode des Pflanzenanbaus nennt sich Aeroponik (Altgriechisch aer = Luft und ponos = Arbeit). Die Pflanzen werden so fxiert, dass die Wurzeln frei im Raum schweben und alle fünf Minuten mit einem wässrigen Nährstoff­ und Dünger­Aerosol bestäubt werden können. Ein zentraler Computer steuert die Klimatisierung und simuliert Tag­-Nacht-Zyklen. Für etwa 16 Stunden werden LEDLeuchten eingeschaltet, deren Spektren individuell auf die verschiedenen Pflanzenarten abgestimmt sind. Der Container ist ein Reinraum mit geschlossenem Luftkreislauf, der nur über eine Luftschleuse zu betreten ist. Die Atmosphäre wird mit Kohlendioxid aus Druckflaschen angereichert, schädliche Keime und Pilzsporen herausgefltert oder mit UV­Licht abgetötet und verdunstetes Wasser vollständig recycelt.

Die Grundlagen der Aeroponik entwickelten  NASA­Forscher bereits in den 1980er­Jahren. Aber erst EDEN ISS ist groß genug, um die gängige Astronautennahrung über einen längeren Zeitraum wirkungsvoll ergänzen und die mitgeführte Nahrungsmenge nachhaltig reduzieren zu können. Zudem wissen Weltraumpsychologen um die positive Wirkung frischer Nahrungsmittel auf die
gestressten Crew­Mitglieder. Besonders wichtig ist schließlich, dass das Weltraumgewächshaus Kohlendioxid aufnimmt und frischen Sauerstoff bereitstellt. Paul Zabel ist überzeugt: „Aeroponik wird auf langen Missionen deutlich Masse einsparen und das Befnden der Teilnehmer verbessern.“

 

Der Fortschritt von EDEN ISS kann auf den Projekt-­Accounts über Instagram und Facebook sowie über den Hashtag #MadeInAntarctica nachverfolgt werden.

 

Fotografie Copyrights: DLR

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