Smart Factories in der Automobilindustrie

Stärker als viele andere Branchen investiert die Automobilindustrie in den Bereich Smart Factory. Vollautomatische Produktionsanlagen, fahrerloser Materialtransport und prozessorüberwachte Montagevorgänge bilden die Autofabrik von morgen. Smart Factory in der Automobilindustrie bedeutet weit mehr als die bereits etablierten Industrieroboter. Von der Bedarfsanalyse bis zur Auslieferung des fertigen Fahrzeugs erfolgt alles digitalisiert und vernetzt. Wir geben Ihnen einen Überblick.

 

Was ist eine Smart Factory?

Eine Smart Factory beschreibt eine sich selbst organisierende Produktionsumgebung, in der sämtliche Prozesse automatisiert ablaufen, ohne dass direkte Eingriffe durch Mitarbeiter notwendig sind. Das Konzept ist ein wesentlicher Teil von Industrie 4.0 und fußt auf Big Data und der Digitalisierung. Zentrale Merkmale der Smart Factory sind vernetzte Prüfsensoren, vollautomatische Fertigungsanlagen und eine fahrerlose Logistik. Richtig aufeinander abgestimmt, können diese Komponenten zu einer deutlichen Effizienzsteigerung von der Lieferkette über die Produktion bis hin zur Auslieferung führen.

Wie funktioniert eine Smart Factory?

Eine Smart Factory basiert auf der Autonomie und Vernetzung ihrer Elemente, ohne dass Mitarbeiter aktiv in Teilschritte wie Materialversorgung, Montage und Auslieferung eingreifen müssen. Wesentliche Voraussetzungen hierfür sind die Nutzung und Auswertung großer Datenmenge und maschinelles Lernen. Erst dies macht automatisierte Produktionsprozesse möglich. Häufig sieht eine exemplarische Smart Factory wie folgt aus:

Prozessorgestützte Monitoringsysteme definieren den (Material-)Bedarf, autonome Transportsysteme liefern die Ersatzteile und führen sie der vollautomatischen Fertigungsanlage zu, die zuvor von Facharbeitern entsprechend den Kundenwünschen programmiert wurden. Fahrerlose Logistiksysteme führen die herzustellenden Produkte den nächsten Fertigungsschritten und schließlich der Auslieferung zu.

 

Welche Bedeutung haben Smart Factories für die Automobilindustrie?

Auf dem Weg zum fertigen Pkw sind unzählige Logistik- und Produktionsschritte notwendig. Deswegen ist die Automobilindustrie geradezu prädestiniert für die Smart Factory. Bereits heute erfolgen zahlreiche Fertigungsprozesse robotergestützt. Doch in der langen Wertschöpfungskette hin zum fertigen Fahrzeug gibt es noch sehr viel Potenzial für Digitalisierung und Vernetzung.

In einem besonders schnelllebigen Geschäft wie der Autoproduktion kommt es dabei nicht nur darauf an, alle Schritte in der Produktionskette exzellent aufeinander abzustimmen. Auch gilt es, trotz oder gerade wegen der komplexen Fertigung und der hohen Nachfrage, technische Störungen und Lieferengpässe zu vermeiden. Auch hierzu trägt die Smart Factory entscheidend bei.

Sensoren überwachen das gesamte System und erkennen Störungen frühzeitig. Häufig kann so bereits eine Reparatur erfolgen, ohne dass größere Teile der Anlage stillgelegt und Produktionseinbußen sowie Lieferengpässe in Kauf genommen werden müssen. Dazu tragen auch intelligent vernetzte Fernwartungssysteme bei, die es räumlich entfernten Facharbeitern im Bedarfsfall ermöglichen, Prüfungen oder Modifikationen am System durchzuführen.

Ferngesteuerte Drohnen geben einen Überblick über den gesamten Fertigungskomplex und übernehmen Transportaufgaben. Bisweilen werden einzelne Teile direkt vor Ort mittels 3D-Drucker hergestellt. Die Tatsache, dass sämtliche Dokumentations- und Archivierungsvorgänge cloudbasiert erfolgen und damit ohne Papier auskommen, ist nicht zuletzt für das Ziel der Automobilindustrie förderlich, künftig auch zu den nachhaltigen und umweltfreundlichen Branchen zu gehören. Somit trägt die Smart Factory auch zur Imagepflege eines ganzen Industriezweiges bei.

Wie stark sind Smart Factories in der Automobilindustrie verbreitet?

Einige Automobilhersteller setzen bereits auf Smart Factories. Anwendung findet das Konzept beispielsweise in der „Factory 56“ von Mercedes-Benz. Das klassische Fließband wird hier von einem fahrerlosen Transportsystem abgelöst. Darin liegt ein großer Vorteil für automatisierte Einbauprozesse, die hier am stehenden Fahrzeug und nicht wie bisher unter der dauernden Bewegung des Fließbandes erfolgen können. Auch Audi setzt seit 2016 auf eine Smart Factory in Mexiko, für die die Ingolstädter VW-Tochter rund eine Milliarde Euro investiert hat.

Auch andere Fahrzeughersteller haben Ihre Fabriken bereits deutlich digitalisiert, darunter z. B. Renault, Great Wall Motors oder auch verwandte Branchen wie die traditionsreiche Motorradschmiede Harley Davidson oder Reifenproduzent Bridgestone.

Bereits heute hat sich die Fahrzeugbranche Experten zufolge besser auf die „smarte Fertigung“ eingestellt als viele andere Produktionszweige. Die Erwartungen wurden übertroffen, immerhin erfolgte in den letzten zwei Jahren bei 30 Prozent der Automobilfabriken eine Umwandlung in Smart Factories[1].


Welche Anforderungen muss eine Smart Factory für die Automobilindustrie erfüllen?

Die Anforderungen an eine Smart Factory in der Automobilindustrie sind sehr vielfältig. Die absolute Basis ist eine gute Anbindung an die Netzinfrastruktur (Strom, Mobilfunk, Internet). Weil wenige Branchen eine derartig rasante technische Entwicklung durchmachen, muss die Smart Factory sowohl räumlich als auch technisch jederzeit die Möglichkeit für umfassende Erneuerungen der Systemkomponenten erlauben.

Das Gebäude selbst sollte nicht nur hervorragend erreichbar, sondern selbst „smart“ sein, z. B., indem der Energieverbrauch durch Sensoren überwacht und durch Anbindung an Photovoltaik-Kollektoren und Speichersysteme optimiert wird. Wenn man sich bewusst macht, dass ein durchschnittlicher Pkw aus rund 10.000 Einzelteilen besteht, wird schnell klar, über welch komplexe Transport- und Montageanlagen eine smarte Automobilfabrik verfügen muss.



[1] Automobilindustrie will Investitionen in intelligente Fabriken massiv ausbauen: Produktionssteigerungen von mehr als 160 Milliarden US-Dollar möglich. Capgemini, veröffentlicht am 05.02.2020 https44://www.capgemini.com/de-de/news/automobilindustrie-will-investitionen-in-intelligente-fabriken-massiv-ausbauen/ (Abrufdatum: 22.06.2021)

Vor welchen Herausforderungen steht die Automobilindustrie bezogen auf den Aufbau von Smart Factories?

Die erste Herausforderung besteht in der Entwicklung einer konkreten Strategie zum Umbau in eine Smart Factory. Es gilt auszuarbeiten, welche Teilbereiche der konzerneigenen Produktion in einer Smart Factory erfolgen sollen. Das können entweder einzelne Sparten wie Motor- oder Karosseriebau sein. Oder wie am Beispiel von Audis mexikanischer Smart Factory ein gesamtes Automodell (Audi Q5).

Eine weitestgehende Automatisierung der Kfz-Fertigung bedarf einer behutsamen Implementierung in die Unternehmenskultur. Ängste vor Jobverlusten bei der Belegschaft müssen gezielt entkräftet werden. Gleichzeitig müssen die Mitarbeiter gezielt auf die Anforderungen einer Smart Factory hin geschult werden. Gegebenenfalls müssen auch Fachkräfte neuer Berufe wie Big Data Scientist, Machine Learning Engineer oder Automatisierungstechniker gewonnen werden.

In diesem Beitrag erfahren Sie, wie Mensch und Maschine in einer Smart Factory zusammenarbeiten.

Eine effizientere Produktion bringt zwar viele Vorteile, gleichwohl müssen sämtliche Vertriebswege, Zuliefer- und Auslieferungsvereinbarungen auf den Prüfstand gestellt werden. Auch muss das Unternehmen sicherstellen, dass die Datensicherheit noch mehr Beachtung findet. Denn in einer Smart Factory erfolgt ein noch viel intensiverer Datenaustausch als in einer konventionellen Automobilfabrik. Das bedeutet auch eine größere Zahl möglicher Einfallstore für Industriespione, Hacker oder Saboteure.

Erfahren Sie hier mehr über weitere Chancen und Risiken von Smart Factories.


Wie sieht die Zukunft von Smart Factories in der Automobilbranche aus?

Die im Februar 2020 herausgekommene Capgemini-Studie schätzt, dass 44 Prozent der Autofirmen in den kommenden fünf Jahren auf die Smart Factories setzen. Da gerade in der Automobilindustrie das Potenzial für Smart Factories groß ist, steigt das Investitionsvolumen stetig. Lag dessen Anteil am Gesamtumsatz in den letzten Jahren bei 2,2 Prozent, steigt dieser bis 2023 auf 3,5 Prozent – eine Zunahme von 62 Prozent.

Von den befragten Automobilkonzernen wollen 44 Prozent einen hybriden Ansatz aus smarter und konventioneller Fertigung verfolgen, 31 Prozent wollen ihre bestehenden Fabrikgelände um eine Smart Factory erweitern und 25 Prozent planen gar einen komplett neuen Standort für die intelligente Fertigung von Autos.

Die zu erwartenden Effekte für die Produktivität sind immens: Wirtschaftsexperten rechnen allein für die Automobilindustrie bis 2023 mit einem Produktionszuwachs zwischen 104 und 167 Milliarden US-Dollar, generiert durch eine verstärkte Vernetzung und Digitalisierung des Autobaus[1]. Mehr und mehr Fahrzeuge der Zukunft dürften also einer Smart Factory entstammen.



[1] Häußler U. Transformation der Automobilindustrie: Neue Smart Factories erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit. elektroniknet.de, veröffentlicht am: 10.02.2020 https://www.elektroniknet.de/automotive/wirtschaft/neue-smart-factories-erhoehen-die-wettbewerbsfaehigkeit.173337.html (Abrufdatum: 22.06.2021)