24 Stunden mit Machinenbau-Ingenieur Johannes

24 Stunden, Interview, Automobilindustrie

Automatikgetriebe der Extraklasse sind eine der Leidenschaften von Johannes Schömann. Der Maschinenbau-Ingenieur hat das Glück, seine Passion zum Beruf machen zu können – bei ZF 
am Standort Saarbrücken. Sein typischer Arbeitstag? „Den gibt’s eigentlich nicht.“

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Johannes Schömann ist kein Frühauf steher – zumindest nicht nach deutschen Maßstäben. Um kurz nach 7 Uhr klingelt sein Wecker, bevor er gegen 8 Uhr mit dem Fahrrad ins Büro fährt: „Dann stürze ich mich meistens direkt kopfüber in die Arbeit.“ Sein Arbeitsplatz: Ein Flachbau am Rande von Saarbrücken, etwas unscheinbar in einem Industriegebiet gelegen und passend eingerahmt von einem Autohaus, aber dennoch gut mit dem Fahrrad entlang der Saar zu erreichen. Hier am Außenstandort arbeitet Johannes Schömann mit rund 250 weiteren ZF-Kolleginnen und Kollegen an der Bedatung von Automatikgetrieben für hochmotorisierte Fahrzeuge. In einem Großraumbüro mit viel Tageslicht hat er einen Fensterplatz: „Mein Leben findet hier im Erdgeschoss statt“, sagt Schömann. Im kommenden Jahr sollen sie an den Saarbrücker Hauptstandort umsiedeln.

Vor Ort: Feintuning für Premium-Automatikgetriebe

Heute aber ist Schömann auf der Teststrecke bei Zweibrücken – nicht weit von seiner eigentlichen Arbeitsstelle entfernt. Ein Bauteil verhält sich bei den Toleranzwerten anders als erwartet, das Team will direkt in der Praxis erproben, messen, nachjustieren und Daten sammeln. Denn Messwerte sind der Rohstoff, mit dem Schömann arbeitet. Deswegen ist Homeoffice für Schömann keine Option. Das Team, in dem er arbeitet, lotet die optimalen Werte für Belastung und Schaltung von Automatikgetrieben aus. Und zwar von solchen, wie sie bei Audi, Bentley und anderen hochpreisigen Marken eines weiteren deutschen Premium-Autobauers zum Einsatz kommen. „Bei diesen Motoren wirken starke Kräfte und entsprechende Geschwindigkeiten“, erklärt der 31-Jährige. Das Besondere dieser Getriebe: Sie verfügen über sehr viele Kupplungen, also Übersetzungen zwischen Motor und Fahrwerk. Immer drei der insgesamt fünf Kupplungen sind geschaltet, wodurch ein möglichst hoher Wirkungsgrad des Getriebes und somit ein reibungsloses Fahrgefühl ermöglicht werden. Auf der Teststrecke werden heute die sogenannte Grundbefüllung und Adaptionen der Kupplung unter die Lupe genommen. Dabei geht es um die Ölmenge und den richtigen Druck, der die Lamellenscheiben beim Schalten bewegt. Schömann und seine sechs Kolleginnen und Kollegen messen, ob das nötige Ölvolumen vorliegt. „Die Kupplung soll einerseits möglichst schnell geschaltet werden, es darf aber gleichzeitig keinen Schlag geben“, erklärt der Maschinenbauer. „Wir versuchen außerdem, Produktionstoleranzen und Verschleißerscheinungen über die Lebenszeit per Adaption auszugleichen.“

Stetige Veränderung und eine bleibende Faszination

Die Herausforderung liegt im Zusammenspiel von Getriebe und den Tools, mit denen Schömann arbeitet: „Unsere Software wurde eigentlich für ein anderes Getriebe von Grund auf neu entwickelt, wir
müssen sie nun an die – eigentlich ältere – Hardware anpassen“, erklärt der studierte Fahrzeugtechniker. „Das Getriebe ist sehr ähnlich, aber es gibt eben kleine, feine Unterschiede.“ Etwa einzelne Bauteile, die es in der neueren Getriebeversion nicht gab oder die eine leicht veränderte Belastbarkeit haben. Ein einfaches Beispiel, warum die Arbeit von Schömanns Team so relevant ist: Sie schützt das Getriebe vor einer solchen Überlastung. „Ein Getriebe kann nur bis zu einer gewissen Last beim Eingangsmoment funktionieren“, erklärt er. „Also überwachen wir, wie viel Energie im jeweiligen Gang vorhanden ist und belegen durch Messungen, dass beispielsweise nicht mehr als 600 Nm übersetzt werden dürfen.“ Solche Grenzwerte können dann zur Folge haben, dass Funktionen geändert werden müssen.

 

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Porträt Johannes Schömann

Johannes Schömann (31) studierte Fahrzeugtechnik an der HTW in Saarbrücken. Zudem absolvierte er ein Auslandssemester in Shanghai, China, schrieb dort seine Bachelorarbeit und kombinierte den Aufenthalt mit einem Praktikum beim dortigen ZF-Standort. Anschließend studierte er erneut in Saarbrücken Engineering und Management im Master, mit einer Vertiefung in Fahrzeugtechnik und einem Auslandsaufenthalt in Schweden.

Von Testfahrten bis Tischgespräche:
Einblick in den Arbeitsalltag

Auch über die Mittagszeit kann es passieren, dass Schömann die Arbeit nicht loslässt. „Wir haben eine Kantine vor Ort. Mit den Kolleginnen und Kollegen zusammen essen zu gehen, ist mittlerweile fester Bestandteil“, berichtet er. „Und wenn wir innerhalb der Abteilung mal Lust auf etwas anderes haben, fahren wir manchmal auch in Richtung Stadt.“ Ob die Mittagspause zum Abschalten dient, hängt von den Personen ab, mit denen er diese verbringt: „Mit manchen funktioniert das sehr gut, mit manchen tauscht man sich eher über Arbeitsthemen aus – was auch nicht schlimm ist“, sagt er und schmunzelt. „Wir schaffen es oft genug, auch über alltägliche Themen zu reden.“

 

Berufliche Leidenschaft trifft auf technische Innovation

Im Laufe der vergangenen knapp drei Jahre haben sich Job und Aufgaben von Johannes Schömann weiterentwickelt und verändert. „Vor etwa einem Jahr gab es in meinem Aufgabenbereich einen größeren Umbruch. Derzeit stecken wir tiefer in der Neuentwicklung“, erklärt er. Zuvor lag der Fokus eher auf der Ausrollung in die Serie und der Erprobung – auch mit Kunden zusammen. „Wir waren dafür auf Teststrecken und Straßen in ganz Europa und darüber hinaus unterwegs, um die Getriebe unter verschiedenen Bedingungen zu testen – etwa bei Steigungen oder extremen Temperaturen. Es ist aber absehbar, dass wir uns ausgehend von unserer aktuellen Grundlagenentwicklung bei uns im Saarland wieder mehr in Richtung Ausrollprojekte beim Kunden spezialisieren.“ Dann wird das Getriebe für spezifische Fahrzeugvarianten angepasst und weltweit erprobt. Darin steckt für Johannes Schömann auch ein Stück Faszination: „Privat fahre ich einen ganz normalen BMW 3er Kombi aus dem Jahr 2009 – beruflich komme ich jedoch immer wieder mit spannenden Autos in Kontakt“, erklärt er. „Bei unseren Testwagen liegt der Fokus unserer Arbeit auf der Schaltqualität. Wir erhalten Vorgaben unserer Kunden und definieren die dafür beste Bedatung.“

„Die Schaltung soll Gefühle auslösen“

Viele kennen beispielsweise den Sportmodus für kraftvollere Automatikgetriebe; das Team stuft diesen Modus weiter ab, wie etwa bei den RS-Modellen von Audi. Schömann weiter: „Die Schaltung soll
so schnell wie möglich sein und Emotionen auslösen. Als Fahrerin oder Fahrer möchte ich die Schaltung spüren. Sie soll konsistent sein und mir bei niedrigen Drehzahlen keinen Schlag in den Nacken
verpassen.“ Und das natürlich bei allen Gegebenheiten: Die Schaltqualität soll bei Temperaturen von −30 bis +100 °C möglichst gleich bleiben. Zu Modellierungszwecken helfen Kälteboxen, in denen die Autos über Nacht eingefroren werden. Die Erprobungsfahrten sind ebenfalls ein wichtiger Baustein, aber gleichzeitig organisatorisch aufwendig. Es gilt, eine möglichst große Bandbreite an Fahrzeugen, Motorisierungen und Getriebevarianten abzudecken. Auch der Zustand der Mechanik und deren Laufleistungen spielen eine Rolle, um Schwankungen durch Verschleiß und Bauteiltoleranzen mit einzukalkulieren. „Und dann müssen wir natürlich klären, wohin wir fahren, Teststrecken buchen, Räumlichkeiten organisieren, Teams zusammenstellen und vieles mehr.“

Erfahrungsbericht, Future Mobility, Atomotive, Maschienenbau, Maschinenbauingenieur

Auf dem Nachhauseweg macht er sich manchmal Gedanken über die Zukunft seiner Arbeit. „Lange Zeit war die PkwAntriebstechnik eines der Steckenpferde“, sagt er. „Mit dem Wechsel zur E-Mobilität werden Getriebe in den Hintergrund rücken, trotz der Tatsache, dass viele Hybrid-Getriebe gebaut werden.“ Ein gutes Jahrzehnt werde die Sparte wohl noch laufen, bei sinkenden Stückzahlen.
Und dann? „Natürlich ist die Transformation schon in vollem Gange.“ Klar ist: Auch für E-Autos wird es Daten brauchen.

Text: Jonathan Fasel