Energie aus See und Fels

Arbeiten für die Energiegewinnung tief im Fels

Das Obervermuntwerk II im österreichischen Vorarlberg wird nach seiner Fertigstellung 2018 zu den modernsten unterirdischen Pumpspeicherkraftwerken im Alpenraum gehören. Zu den größten Herausforderungen des Projekts zählt die Ausbetonierung des in den Fels gesprengten Hohlraumes für die Maschinenkaverne. Als Mitglied des Konstrukteur-Teams der Illwerke erfolgt ein großer Teil der Planung und Prüfung der einzelnen Betonierabschnitte durch Brunel Mitarbeiter Severin Vamos.

Die Silvretta-Hochalpenstraße zwischen den Orten Partenen und Galtür gehört zu den wichtigsten Passstraßen der österreichischen Alpen. Inmitten des imposanten Hochgebirgspanoramas wird hier aktuell auf rund 1.800 m Höhe und in unmittelbarer Nähe zur schweizerischen Grenze das Obervermuntwerk II errichtet. Der rund 600 Millionen Euro teure, komplett unterirdisch angelegte Bau ist das zweitgrößte Pumpspeicherkraftwerk der Vorarlberger Illwerke AG. Ab Herbst 2018 soll es eine elektrische Leistung von rund 360 MW zur Verfügung stellen und damit einen wichtigen Beitrag zur geplanten Energieautonomie des westlichsten Bundeslandes Österreichs bis zum Jahr 2050 leisten. Dieses übergeordnete Ziel hat der Vorarlberger Landtag im März 2011 ausgerufen. Das Obervermuntwerk II nutzt, wie das bereits 1943 in Betrieb genommene Obervermuntwerk I, den Höhenunterschied zwischen dem Vermuntsee auf 1.745 m und dem rund 300 m höher gelegenen Silvrettasee. Erstmals soll es damit möglich sein, die bislang nur teilweise ausgeschöpfte Kapazität der beiden Seespeicher energiewirtschaftlich komplett nutzbar zu machen. Anders als die Ursprungsanlage, die seinerzeit als herkömmliches Speicherkraftwerk gebaut worden war, wird das Obervermuntwerk II als modernes Pumpspeicherkraftwerk errichtet. Das Projekt dient somit vorrangig zur Abdeckung von Energiespitzen. Das Grundprinzip dabei ist einfach: Bei gedecktem Strombedarf leiten die integrierten Pumpen Wasser zur Speicherung in den höher liegenden Stausee. Wird wieder mehr Energie benötigt, fließt es von dort über den 2,8 km langen Druckstollen bergab zum tiefer gelegenen See und stellt mittels Turbinen und Generatoren Strom her. Je nach Bedarf werden dabei bis zu 150 m³ Wasser pro Sekunde zwischen den beiden Seen bewegt.

Voralberger Illwerke AG als wichtigster Energiedienstleister der Region

Aktuell stellen Pumpspeicherkraftwerke die wirtschaftlichste Form dar, um großtechnisch Strom zu speichern. Mit dem Neubau der Anlage ist die Vorarlberger Illwerke AG als wichtigster Energiedienstleister der Region in der Lage, Spitzen- und Regelenergie durch verstärkten Einsatz der Wasserkraft flexibel bereitzustellen. Hierbei wird ein Wirkungsgrad von 80 % bei der Pumpspeicherung angestrebt. Neben dem heimischen Markt soll der erzeugte Strom zu 50 % auch in das europäische Stromnetz eingespeist werden und auf diesem Wege insbesondere der deutschen EnBW zur Verfügung stehen. Besonderes Kennzeichen des neuen Kraftwerks ist es, dass sämtliche Rohrleitungen, Turbinen, Generatoren, Pumpen, Transformatoren und Schaltanlagen unterirdisch angelegt sind. Entsprechend mussten etwa 800.000 m³ Gestein ausgebrochen werden. Nach Fertigstellung des Projekts werden damit neben den Portalbauwerken zu den Zugangsstollen eine Schieberkammer und der Schachtkopf des 50 m tiefen Schützenschachtes von außen sichtbar sein. Zusätzlich soll auch die oberirdische Druckrohrleitung des bestehenden Obervermuntwerks I deinstalliert werden. Als Ersatz dafür wird ein Druckstollen errichtet, sodass auch dieser Anlagenteil in Zukunft unterirdisch verläuft. Trotz des Eingriffs in die Landschaft erfüllt das Projekt durch die Umsetzung zahlreicher Ausgleichsmaßnahmen die Auflagen des Umweltschutzes, der hier auch den optischen Erhalt des touristisch stark erschlossenen Bergpanoramas vorsieht. Eine große Herausforderung bildete nicht zuletzt auch die Logistik der insbesondere im Winter schwer zugänglichen Baustelle. Um einen zügigen und weitgehend witterungsunabhängigen Fortschritt der Arbeiten zu ermöglichen, wurde unter anderem eine temporäre Materialseilbahn errichtet.

Hohlraum im Berg: 125 x 35 x 25 Meter

Generell beinhaltet die Projektrealisierung unzählige Arbeitsschritte – von der Planung des Zugangsstollens über die Koordination der beteiligten Zulieferer bis zur Ausführung des Maschinenbaus, der Elektrotechnik für die Generatoren oder des Energietransportes. Eines von vielen Teilprojekten vor Ort ist der Bau der tief im Fels gelegenen 125 m langen, 35 m hohen und 25 m breiten Maschinenkaverne, die sämtliche Pumpen und Turbinen sowie die Steuerung des Kraftwerks beherbergt. Um die gigantische Halle begehbar abzusichern und das von den Maschinenbauern entwickelte Anlagengeflecht zu integrieren, muss der Hohlraum zu rund 60 % ausbetoniert werden. Die Bauplanung der gesamten Kraftwerksanlage wird von Illwerke Mitarbeitern ausgeführt. Beteiligt an der Planung der Stahlbetonarbeiten in der Krafthauskaverne ist zudem Brunel Spezialist Severin Vamos: „Ein Bauvorhaben dieser Größenordnung wird in der Regel im Maßstab 1:200 für Ausschreibungen dargestellt“, berichtet der Ingenieur, der seit Juli 2015 mit dem Projekt betraut ist. Die ihm vorliegenden Planungen umfassten bereits die wichtigsten Querschnitte sowie mehrere Längsschnitte, die den größten Teil der Betonierabschnitte abbildeten und auch die vorgesehenen Leitungen und Maschinen als grobe Kubaturen auswiesen. „Meine Aufgabe bestand nun darin, das vorhandene Ausgangsmodell auf den Ausführungsmaßstab 1:25 umzulegen und dabei zu prüfen, ob die aus der Vorplanung resultierenden Einbauvorgaben der Maschinenbauunternehmen und beteiligten Fachplaner in dieser Form und in der gegebenen Hohlrauminfrastruktur sowie den vorgegebenen Terminplänen überhaupt realisierbar sind“, so der 32-Jährige. „Aufbauend auf der Vorplanung und im engen Austausch mit den Detailplanern aller beteiligten Gewerke haben wir zunächst eine vorläufige Ausführungsplanung für die unterschiedlichen Betonierabschnitte erstellt“, erklärt Vamos. „Die Zeichnungen enthalten neben der genauen geometrischen Form- und Lagevorgabe auch die einzubauenden Maschinenbauteile, Einlegekomponenten, Rohrleitungssysteme und Verkabelungen sowie die dazu notwendigen Durchbrüche. Optisch erinnern sie insbesondere im Bereich der Maschinenblöcke an ein Tetris-Spiel in dreidimensionaler Ausführung“, grinst der Österreicher, der die gewaltigen Dimensionen des Projekts mit einem beispielhaften Verweis auf die bis zu 2,70 m dicke Erdgeschossdeckenplatte verdeutlicht. Komplettiert werden die mit dem CAD-Programm Nemetschek Allplan erstellten Zeichnungen durch die Festlegung der genauen Betonierreihenfolge der jeweiligen Abschnitte. Darauf aufbauend werden die Bewehrungspläne, also die Integration von Stahl zur Erreichung aller statisch erforderlichen Eigenschaften, erstellt – alles in allem eine akribische Detailarbeit. Parallel dazu sind individuelle Machbarkeitsprüfungen mit sämtlichen beteiligten Gewerken und Lieferanten nötig: „Dabei werden aber nicht nur einzelne Betonierabschnitte, sondern immer kompakte Blöcke mit bis zu 40 Betonierabschnitten ausgegeben, die im Zusammenspiel in der Regel einen Maschinenblock umfassen“, erklärt Severin Vamos.

Brunel Kollegen: Austausch zur Statistik

"Jede Abteilung hat dabei für ihren Verantwortungsbereich zu überprüfen, ob alle Maschinen korrekt positioniert und zum Beispiel die Zu- und Ableitungen richtig aufgeführt sind. Eventuelle Änderungen werden dann von mir im Hinblick auf Kollisionen mit anderen Überarbeitungen überprüft und schließlich in die Reinzeichnung übernommen.“ Ein enger Kontakt besteht dabei auch zu dem ebenfalls bei Brunel beschäftigten Kollegen Dipl.-Ing. Jörn Christian, der vor Ort überwiegend mit der Planung der Betonbewehrung befasst ist: „Im direkten Austausch besprechen wir zum Beispiel, ob ein Betonierabschnitt oder eine Betonierfuge aufgrund der statischen Vorgaben an die Bewehrung noch geringfügig verändert werden muss.“ Sind alle Korrekturen der verschiedenen Parteien eingearbeitet, kann Severin Vamos im nächsten Schritt die endgültigen Schaltpläne für die jeweiligen Betonierabschnitte erstellen und ausgeben. Parallel dazu entstehen kompakte Übersichten im 1:200er-Maßstab sowie detaillierte Polierpläne mit allen erforderlichen technischen Details im Maßstab 1:50. „Erst auf dieser Basis wissen die beteiligten Baufirmen, welche Abschnitte wie betoniert werden müssen und welches Bauteil an welcher Position installiert werden soll“, erklärt der Ingenieur. „Ganz wichtig ist es dabei, die genaue Reihenfolge der Anlieferungen von Turbinen- und Pumpenspiralen, Generatoren, Leitungen sowie weiterer Komponenten zu beachten, um so den vorgegebenen Zeitrahmen einhalten zu können.

Bergbauingenieure im Fels

Ähnlich wie viele weitere Kollegen aus der Planung ist Severin Vamos zumeist nicht auf der Baustelle selbst, sondern überwiegend im Illwerke Zentrum Montafon oder einer Niederlassung im 30 km entfernten Vandans tätig: „Normalerweise ist es für mich nicht nötig, oben am Berg präsent zu sein. Bei Bedarf werde ich über das Bauingenieur-Team vor Ort mit notwendigen Fotos oder mit Informationen über den aktuellen Stand versorgt. In Einzelfällen fahre ich aber auch schon mal hoch, um den Baufortschritt zu beobachten, oder im Falle von ganz konkreten Problemen.“Nach Fertigstellung des Projekts sollen sämtliche Aufsichts- und Wartungsarbeiten automatisiert ablaufen. Und auch von außen wird dann nach vierjähriger intensiver Bautätigkeit kaum etwas von dem Kraftwerk zu sehen sein. Was bleibt, ist allein die imposante Bergkulisse.

 

Text: Robert Uhde
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