Fließendes Wasser

Perspektive Wasser

Bewusst mit Wasser umzugehen, ist eine der großen globalen Aufgaben des 21. Jahrhunderts. Die Wasserwirtschaft spielt deshalb eine zentrale Rolle – in Deutschland und weltweit.
Neueste Technologien sorgen dafür, dass mehr Menschen reines Trinkwasser zur Verfügung steht, indem man Meerwasser entsalzt oder mögliche Verunreinigungen mittels modernster Messgeräte frühzeitig erkennt.

Seit 2010 ist das Recht auf reines Wasser und auf eine ausreichende Sanitärversorgung Teil der UN-Menschenrechtscharta. Dennoch haben weltweit 844 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser. Neue Technologien können dazu beitragen, diesen globalen Mangel zu beheben. Hierzu werden laut OECD aktuell jährlich etwa 800 Milliarden US-Dollar in Infrastruktur- und Technologieprojekte rund um den Globus investiert, mit steigender Tendenz. Auch das Marktvolumen für die Aufbereitung von Trink- und Abwasser beträgt jährlich 800 Milliarden US-Dollar und soll bis 2020 pro Jahr um fünf Prozent steigen. Innerhalb der Wasserwirtschaft ist die deutsche Ausgangssituation komfortabel: Jährlich stehen 188 Milliarden Kubikmeter Süßwasser zur Verfügung. 83 Prozent davon sind Reserve und nur 17 Prozent werden verwendet.
Von diesen 32 Milliarden Kubikmetern verbrauchen 84 Prozent Industrie und Bergbau, die Landwirtschaft dagegen dank feuchten Klimas nur etwa ein Prozent.
Zum Vergleich: Weltweit werden 70 Prozent des verbrauchten Wassers in der Agrikultur genutzt. Auch in privaten Haushalten ist der Trinkwasserverbrauch der sparsamen Deutschen vergleichsweise gering: Pro Kopf sind es etwa 122 Liter pro Tag – in den USA ist der Verbrauch mehr als doppelt so hoch.

Weltweit ist die Wasserwirtschaft für die Zu- und Ableitung von Trink- und Betriebswasser sowie für die Aufbereitung des Abwassers zuständig. In Deutschland zählen zu ihren Arbeitsgebieten auch die Bewirtschaftung und der Schutz von Gewässern, Seen und Küsten. Hierzulande übernehmen diese Aufgaben rund 6.000 Betriebe, von denen 65 Prozent öffentlich-rechtliche kommunale Einrichtungen sind und der Rest privatrechtlich organisiert ist. Dabei ist die Wasserwirtschaft einer der größten Auftraggeber der deutschen Privatwirtschaft, denn sie vergibt Aufgaben in den Bereichen Forschung, Planung und Bau überwiegend an Firmen mit spezifschem Know-how. 2013 setzte die deutsche Wasserwirtschaft damit etwa 15,6 Milliarden Euro um. Auch der Investitionsanteil der Wasserwirtschaft liegt mit 19 Prozent des Gesamtumsatzes weit über dem Durchschnitt, beim verarbeitenden Gewerbe sind es etwa 3,2 Prozent.

International hat die deutsche Wassertechnologie einen hervorragenden Ruf: Laut Bundesumweltministerium auf dem Weltmarkt einen Anteil von etwa elf Prozent. Bei Kläranlagen sowie technischen Ausrüstungen wie Pumpen, Armaturen, Filteranlagen oder Wasserzählern ist Deutschland sogar führend. Ein Beispiel für hiesige Spitzentechnologie ist das Breitband-Sensorsystem AquaBioTox, mit dem gefährliche chemische Verunreinigungen schneller erkannt und genauer verortet werden können als bisher. Zwar zählt Trinkwasser hierzulande zu den am strengsten überwachten Lebensmitteln, einen absoluten Schutz vor Unfällen, Verschleiß oder Anschlägen gibt es jedoch nicht. Kontrollen werden aktuell stichprobenartig in Laboren durchgeführt – ein zeitaufwendiger Weg, der nur über diejenigen Schadstoffe informiert, nach denen gezielt gesucht wird.

Leuchtende Biosensoren fürs Trinkwasser

„Diese Stichproben, durch die in seltenen Fällen schon mikrobielle Belastungen gefunden wurden, bleiben gesetzlich vorgeschrieben, werden aber durch AquaBioTox optimal ergänzt.
Unser onlinebasierter Wassertest funktioniert nach dem Vorkoster-Prinzip: Im Testgerät befnden sich Röhrchen mit fluoreszierenden Biosensoren aus Bakterienstämmen und Säugetierzellen,
die vom Trinkwasser umspült werden. Sie reagieren auf ein großes Spektrum an chemischen Stoffen und Giften“, erklärt Dr. Thomas Bernard vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) in Karlsruhe. Die Geräte sollen an mehreren Stellen im Trinkwassersystem angeschlossen werden. Treten Verunreinigungen auf, lässt die Leuchtkraft der Sensoren nach und ein automatisches Online-Alarmsignal verständigt die Zentrale im nächstgelegenen Wasserwerk. „So können Schutzmaßnahmen, wie die Abriegelung des verunreinigten Sektors, nach wenigen Minuten eingeleitet werden“, sagt der Projektleiter.

Das gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) entwickelte AquaBioTox wurde bereits über einen Zeitraum von anderthalb Jahren auf einem Testgelände der Berliner Wasserwerke erfolgreich geprüft. „Die deutschen Wasserversorger zeigen großes Interesse und auch international sind gute Sensorsysteme stark nachgefragt“, betont Dr. Bernard.
Neben der Sauberkeit des Wassers liegt ein weiterer Fokus der Wasserwirtschaft auf den Bereichen Energieverbrauch und -effzienz sowie Energiegewinnung. Bei der Abwasserentsorgung wird in Deutschland bereits ein Viertel der verbrauchten Strommenge von bundesweit 4,2 Terawattstunden (TWh) pro Jahr durch selbst erzeugte Energie im Rahmen der Klärschlammfaulung gedeckt. „Allerdings“, ist Prof. Michael Sievers, Projektleiter bei der Clausthaler UmwelttechnikInstitut GmbH (CUTEC), überzeugt, „bergen die organischen Inhaltsstoffe des Abwassers ein weit höheres Energiepotenzial, als das bei der Zersetzung von Klärschlamm entstehende Biogas.“ Um diese Energie effzient zu gewinnen und zu nutzen, entwickelt CUTEC unter anderem in Kooperation mit der Technischen Universität Clausthal gerade die BioBrennstoffzelle BioBZ für den Markt. Damit kann durch den biologischen Abbau organischer Inhaltsstoffe im Abwasser Strom gewonnen werden.
„Die chemisch gebundene Energie lässt sich mit der BioBZ in elektrische Energie umwandeln. So können Kläranlagen als regenerative Energiequellen genutzt werden“, ist Prof. Sievers überzeugt.
Die Bio-Brennstoffzelle besteht aus zwei Kammern, der Anoden- und der Kathodenkammer, die durch eine semipermeable Membran getrennt sind. Das Abwasser strömt durch die Anodenkammer, wo sich auf der Oberfläche der Anode ein Bioflm befndet. Dessen spezielle Mikroorganismen zerlegen die komplexen Abwasser-Inhaltsstoffe und setzen dabei Elektronen und Protonen frei. Die Elektronen werden an die Anode abgegeben und die Protonen wandern durch die Membran in die Kathodenkammer, durch die sauerstoffhaltiges Abwasser strömt.
„Das elektrochemische Potenzialgefälle zwischen Anode und Kathode erzeugt einen Elektronenfluss, der zur Gewinnung von Elektroenergie genutzt wird“, verdeutlicht Prof. Sievers.
 

Kläranlage als regenerative Energiequelle

In der aktuellen CUTEC-Messanlage, die 150 Liter Wasser fasst, sind acht Zellen mit jeweils
50 × 50 Zentimetern Anoden- und Kathodenfläche untergebracht. In den nächsten Jahren sollen Module mit einem Fassungsvermögen von 5.000 Litern entwickelt werden, was in etwa 20 EW entspricht. „EW steht für Einwohnerwert und ist defniert als die durchschnittliche Belastung des Abwassers durch einen Einwohner im Einzugsgebiet einer Kläranlage mit biologisch abbaubaren Stoffen“, erläutert Prof. Sievers. „Mit unserer Bio-Brennstoffzelle lassen sich 0,5 bis 1 Watt pro EW gewinnen. Eine Kläranlage mittlerer Größe könnte so etwa 100 bis 500 Kilowatt Strom produzieren – zusammen mit dem Strom aus Faulgasen ist das mehr, als sie verbraucht. Sie wäre damit ein idealer Stromspeicher und könnte langfristig auch als Tankstelle für Elektroautos dienen.“ Zuvor sind allerdings noch einige Herausforderungen zu bewältigen: So muss das elektrische Spannungsniveau der Mikroorganismen auf ein höheres gehoben werden. Hierfür entwickeln der Professor und sein 80-köpfiges Team aktuell einen neuen Umwandler.
Außerdem konstruieren sie ein Pilotgerät für erste Tests an Kläranlagen.

Ein weiteres großes Thema der globalen Wasserwirtschaft sind Trinkwassermangel und Trockenheit – und zwar seit jeher: Bereits vor 140 Jahren bauten die Briten erste Anlagen zur Meerwasser-Entsalzung im Golf von Aden, um den Wasservorrat der Meere zu nutzen. Heute dominieren zwei Entsalzungstechnologien: Die Umkehrosmose, bei der Meerwasser durch Membranen gepumpt und so entsalzt wird, und die mehrstufge Entspannungsverdampfung, bei der die Abwärme von Kraftwerken das Meerwasser erhitzt, bis es verdampft.
Weltweit – und dabei vornehmlich im Nahen Osten, den USA, in Australien und
im Mittelmeerraum – sind heute über 21.000 solcher Anlagen in Betrieb, die zusammen pro Tag etwa 13 Milliarden Liter Trinkwasser produzieren und von denen die Mehrheit nach der mehrstufgen Entspannungsverdampfung arbeiten.

Ende 2015 nahm in Carlsbad, Kalifornien, die in der westlichen Hemisphäre größte Entsalzungsanlage ihre Arbeit auf. Das zum US-Unternehmen Poseidon Water gehörende „Carlsbad Desalination Project“ versorgt täglich Unternehmen und etwa 500.000 Menschen im Bezirk San Diego mit fast 200 Millionen Litern Wasser. Die Anlage nutzt das in den 1960er-Jahren entwickelte Verfahren der Umkehrosmose. Dabei wird Meerwasser durch Membranen mit so winzigen Löchern gepresst, dass Salzionen und andere anorganischen Stoffe hängen bleiben. Nur die Wassermoleküle kommen durch. Dafür ist enormer Druck notwendig, der wiederum einen hohen Energieaufwand verlangt. Aufgrund der Größe der Carlsbader Anlage stellte die Energieversorgung die Ingenieure vor eine erhebliche Herausforderung.
Die Lösung: Der Einsatz neuartiger Rotationsdruckaustauscher, mittels derer Energie zurückgewonnen wird. Dabei wird die nach dem Verarbeitungsprozess verbliebene Druckenergie des Wassers wieder eingesetzt, um neues Meerwasser nachzupumpen. Auf diese Weise und durch den Kauf von CO2-Zertifkaten erreicht die Anlage CO2-Neutralität.
Dieser Aufwand hat seinen Preis: Entsalztes Wasser ist fast doppelt so teuer wie herkömmliches, doch gehen die Betreiber von einer Preisannäherung in den nächsten zehn Jahren aus. Denn durch die Wasserverknappung wird der Wert des Süßwassers steigen. Zudem müssen auch die Produzenten von herkömmlichem Wasser ihre Preise den steigenden Energiekosten anpassen. Zwar erntet das Verfahren auch kritische Stimmen von Umweltschützern, doch küstennahes Bevölkerungswachstum und regional anhaltende Dürre verstärken die Nachfrage – derzeit sind allein in Kalifornien knapp 20 Anlagen in der Designoder Planungsphase.

Text: Jörg Riedel

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