Wüste

Metal Organic Frameworks: Die chemischen Alleskönner

Innerhalb weniger Jahre avancierten sie zu den unangefochtenen Shootingstars der Chemiker: Metallorganische Gerüstverbindungen oder Metal Organic Frameworks (MOFs). Ihr modularer Aufbau ermöglicht eine nahezu unendliche Variantenvielfalt, sodass für jede erdenkliche Anwendung ein hochspezifsches MOF maßgeschneidert werden kann – beispielsweise zur Wassergewinnung oder in der Photovoltaik.

Abdul Malevi lebt mit seiner Familie in einem kleinen Dorf im Norden Nigerias. Hier in der Sahelzone erschweren Niederschlagsmengen von kaum mehr als 400 mm im Jahr Mensch und Tier das Leben. Eigentlich. Abdul jedoch besitzt eine Fläche von fünfzig Fußballfeldern, auf der sich jeden Morgen trotz niedriger Luftfeuchte so viel Tau bildet, dass er täglich bis zu 20 l sauberes Trinkwasser aus der Luft ernten kann. Noch ist das Fiktion. Aber der Chemie-­Professor Omar Yaghi von der University of California in Berkeley und eine Ingenieursgruppe am Massachusetts Institute of Technology
(MIT) in Cambridge arbeiten hart daran, dass sie Wirklichkeit wird. Im Frühjahr 2017 stellten sie ein Schuhkarton­großes Wassererntegerät vor, das bei einer Luftfeuchte von weniger als 20 % in 12 Stunden 2,8 l Wasser aus der Luft entnahm – ohne externe Energiequelle, angetrieben allein vom Sonnenlicht. Herzstück des Geräts ist ein molekularer Schwamm namens MOF-­801, den das Team um Yaghi speziell für die Aufnahme und Abgabe von Wassermolekülen designt hat.

MOFs sind kristalline Festkörper – aber im Grunde purer Hohlraum. Ein fligranes Molekülgerüst erzeugt eine riesige Anzahl an Poren, in die Gastmoleküle eingelagert und mit Methoden wie Erwärmen oder Evakuieren wieder entfernt werden können. Die innere Oberfläche der MOFs ist gewaltig und erreicht 7.000 m² pro Gramm – die Fläche eines Fußballfelds. Abduls fiktive Fußballfelder bestehen also aus Metal Organic Frameworks und passen in einen Schuhkarton. „Vor acht Jahren begannen wir mit einem dreiköpfgen Team in Berkeley mit der Entwicklung eines MOFs für die Wasserernte“, erinnert sich Yaghi. „Die Herausforderung war, die richtige Porengröße zu finden und das Innere der Poren chemisch so zu modifzieren, dass die Bindungsenergie für Wasser den richtigen Wert hat: Ausreichend groß, damit das Wasser gebunden wird, aber so niedrig, dass es bei moderater Energiezufuhr durch Sonnenlicht, also bei etwa 45 °C, wieder aus den Poren austritt.“

MOFs als modulares Baukastensystem

Das jetzt vorgestellte Gerät besteht aus einem Kasten, in dem eine Schicht aus kristallinem MOF­801-­Pulver fixiert ist. Oben ist ein Absorber für Sonnenlicht angebracht. Nachts wird der Kasten geöffnet, sodass sich das MOF mit Wasser aus der Luft vollsaugen kann. Morgens wird der Kasten geschlossen und das MOF durch moderates Sonnenlicht erwärmt. Das Wasser tritt als Dampf aus und schlägt sich an den kühlen Gerätewänden als Flüssigkeit nieder. Die Vorteile: Das Wassererntegerät ist klein und kann leicht transportiert werden, es arbeitet energieeffzient und benötigt keine elektrische Infrastruktur. Noch ist das Gerät jedoch sehr teuer, denn das MOF­-801 enthält Zirkonium, ein pro Kilogramm etwa 130 Euro teures Metall. Dazu kommen hohe Kosten für die Synthese des MOFs. Aber Yaghi ist zuversichtlich: „Wir glauben, dass in drei Jahren ein praxistaugliches Gerät auf dem Markt sein wird.“ Dazu arbeitet die Berkeley-Gruppe an neuen MOFs, die statt Zirkonium das wesentlich preiswertere Aluminium enthalten. Mit industriellen Partnern und Start­-ups sollen außerdem die MOF-­Synthese verbilligt und das Geräte­-Design optimiert werden, um die Prozessführung beim Be-­ und Entladen sowie bei der Kondensation zu verbessern.

Die MOF­-Forschung geht auf die Pionierarbeiten von Yaghi und einigen anderen in den 1990er Jahren zurück. Der Chemiker prägte 1995 den Namen MOF und schlug vor, diese neue Verbindungsklasse entsprechend ihrem Entdeckungsdatum durchzunummerieren. Er erinnert sich: „Damals faszinierte mich die Ästhetik der hochsymmetrischen MOF­-Strukturen, heute die atemberaubende Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten.“ Denn MOFs bestehen aus anorganischen, Metallionen enthaltenden Knotenpunkten, den Secondary Building Units (SBUs), und organischen Molekülen, den Linkern. Zusammen bilden sie ein modulares Baukastensystem nach dem Stecker­-Buchse-­Prinzip: Jede SBU hat mehrere Buchsen, jeder Linker mindestens zwei Funktionseinheiten, die als passende Stecker fungieren und zwei oder mehr SBUs verbinden. SBUs mit mindestens drei, in unterschiedliche Richtungen weisenden Buchsen lassen sich mit Linkern zu dreidimensionalen, nanoporösen Gerüsten zusammenfügen.

Porengröße und chemische Eigenschaften der Porenwände lassen sich durch Art und Größe von SBUs und Linkern genau auf das aufzunehmende Gastmolekül, sprich auf die gewünschte Funktion der Poren einstellen. Über hundert SBUs sind inzwischen beschrieben. Sie können mit nahezu jedem organischen Molekül als Linker gekoppelt werden. Bei etwa 100 Mio. bis heute charakterisierten organischen Verbindungen ergibt das eine fast unendliche Fülle von MOF­-Varianten. Bis Ende 2017 dürften an die 100.000 MOFs synthetisiert und beschrieben sein. Bevor die Chemiker ein neues MOF im Labor herstellen und erproben, ermitteln sie zunächst am Computer, welche Kombination von anorganischer und organischer Komponente die angestrebte Aufgabe am besten erfüllen dürfte. So lassen sich MOFs mit einer außerordentlich hohen Selektivität maßschneidern, wie sie für die Speicherung definierter Substanzen, für die Trennung von Gas-­ oder Flüssigkeitsgemischen, für die Sensorik ganz bestimmter Stoffe oder für katalytische Funktionen erwünscht ist.

Allerdings waren die letzten 20 Jahre geprägt von einer geradezu explosionsartig anwachsenden Grundlagenforschung. Bei der Aufskalierung auf industrielle Anwendungen besteht jedoch Nachholbedarf. Auch die Langzeitstabilität der MOFs bezüglich Alterung, Korrosion und Vergiftung im rauen Industriealltag ist wenig erforscht. Werkstoff-­ und Fertigungstechniker müssen jetzt Verfahren zur Umformung der MOF­-Pulver zu handhabbaren Halbzeugen wie Granulaten, Folien oder Schäumen sowie zu deren Weiterverarbeitung entwickeln. Die Herausforderung ist, dabei nicht die hohe Porosität der filigranen MOFs zu beeinträchtigen. Das große Interesse der Industrie lässt sich an zahlreichen Patenten und Start­-up-Gründungen ablesen. Einige MOFs sind bereits kommerziell verfügbar und zum Beispiel als mobile Speicher für gasförmige Brennstoffe wie Wasserstoff oder Erdgas in Fahrzeugen in der Erprobung. Insgesamt aber steckt die Aufskalierung noch in den Kinderschuhen.

Epitaktisch zur elastischen Solarzelle

Einige der genannten Hürden überwindet bereits eine neuartige Herstellungsmethode, die einige Hundert Nanometer dünne kristalline MOF­-Schichten liefert. Solche Schichten, beispielsweise auf einem elastischen Kunststoff als Träger, sind ideal für Anwendungen in Elektronik, Sensorik oder Photonik. Als besonders vielseitig haben sich hier epitaktische Verfahren erwiesen. Bei diesen wächst eine kristalline, also regelmäßig angeordnete MOF-Struktur heran, indem die anorganischen, also kohlenstofffreien, und die organischen MOF­-Komponenten alternierend Schicht für Schicht auf den Träger aufgebracht werden. Pionier dieser Synthesen ist das Institut für Funktionelle Grenzflächen (IFG) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) unter Leitung des Physikers Prof. Christof Wöll. Die am IFG entwickelten Verfahren zur Herstellung sogenannter SURMOFs (Surface Mounted Metal Organic Frameworks) basieren auf epitaktischen Methoden, die in der Mikroelektronik und Halbleitertechnik etabliert, zur Herstellung von MOFs jedoch recht neu sind. „Das SURMOF­-Verfahren eignet sich prinzipiell auch für kontinuierliche Herstellungsprozesse, es erlaubt die Beschichtung größerer, auch flexibler Trägerflächen und ist relativ leicht in bestehende industrielle Prozesse integrierbar“, so Wöll. Welche Potenziale in den SURMOF­-Dünnfilmen stecken, haben Wöll und seine Mitarbeiter in den letzten Jahren an einer Reihe modellhafter Anwendungen demonstriert. Eine davon ist eine elastische Solarzelle, die auf Kleidung oder verformbare Bauteile aufgebracht werden könnte. Als Linker dienen Porphyrine, eine Gruppe aromatischer Verbindungen, die die Natur als perfekte Allrounder unter anderem im Blutfarbstoff Hämoglobin einsetzt, um Sauerstoff zu transportieren, oder im Chlorophyll, um Licht in chemische Energie umzuwandeln. Bei Bestrahlung mit Licht erzeugen die porphyrin­basierten SURMOFs mit hoher Effzienz Ladungsträger, die eine überraschend hohe Beweglichkeit zeigen – gute Voraussetzungen für den Einsatz als Solarzelle. Allerdings liegt der Wirkungsgrad des Versuchsaufbaus derzeit nur bei 0,7 %. Wöll ist trotzdem optimistisch: „So hat auch die Entwicklung der klassischen organischen Solarzellen begonnen. Wir sind überzeugt, die photovoltaische Leistung des Materials erheblich steigern zu können, zum Beispiel, indem wir die Poren mit Molekülen füllen, die elektrische Ladungen abgeben und aufnehmen können.“ Die erste Breitenanwendung für MOFs sieht der Professor in fünf bis sechs Jahren für MOF­-Dünnschichtsensoren beispielsweise in der medizinischen Diagnostik oder der Umweltanalytik. Alles in allem sind die Fähigkeiten der MOFs nahezu unerschöpflich. Jetzt gilt es, diese industriell verfügbar zu machen. „Wir haben die Tür zu einem neuen Raum geöffnet“, fasst Prof. Wöll zusammen, „und ein Ende der Entwicklungen ist noch lange nicht in Sicht.“

Text: Dr. Ralf Schrank