Technik wird immer mobiler. Für Elektrofahrzeuge, autonome Systeme und Roboter, Wearables und mobile elektronische Endgeräte erweist sich die Stromversorgung zunehmend als limitierender Faktor. Denn Volumen, Gewicht, begrenzte Kapazität und lange Ladezeiten von Batterien schränken Mobilität und Flexibilität ein. Abhilfe könnte die kabellose Stromübertragung schaffen oder
– noch konsequenter – die Stromerzeugung direkt im Mobilgerät.
Die Übertragung von Energie durch den leeren Raum ist nicht neu. Die Sonne praktiziert dieses Vorgehen seit mehr als 4,5 Milliarden Jahren. Aber die Verluste sind gigantisch: Der größte Teil der von der Sonne abgestrahlten Energie geht im Weltraum verloren und nur ein winziger Bruchteil erreicht die Himmelskörper, die um sie kreisen – und wiederum nur ein Bruchteil davon verrichtet nützliche Arbeit. Exakt das Gleiche gilt auf der Erde für die bislang bekannten Konzepte zur kabellosen Energieübertragung über Strecken von mehr als ein paar Zentimetern: Ihr Wirkungsgrad, das Verhältnis von nutzbarer Energie zur insgesamt aufgewandten Energie, liegt weit unter 1 Prozent und sinkt rapide mit der Entfernung. Eine Lösung ist die Bündelung der elektromagnetischen Energie. Das 2019 in Auckland, Neuseeland, gegründete Cleantech-Unternehmen Emrod setzt deshalb auf eine Strahlformungstechnik, die Elektrizität in ein parallel ausgerichtetes elektromagnetisches Strahlenbündel umwandelt, das direkt von einer Antenne zu einer anderen geschickt wird. Ein Jahr nach Gründung präsentierte Emrod den Machbarkeitsnachweis für eine drahtlose Stromübertragung mit einem Wirkungsgrad für die Strahlbündelung von über 97 Prozent. Gründer und Geschäftsführer Greg Kushnir erläutert die entscheidende Innovation: „Die hohe Effizienz erreichen wir mit elektromagnetischen Metamaterialien. Mit ihnen können wir die elektromagnetische Energie in der Sendeantenne stark bündeln. Wir sind überzeugt, durch weitere Verbesserungen auf der Sendeseite, vor allem aber auf der Empfängerseite, auf der derzeit noch die größeren Verluste auftreten, für das Gesamtsystem einen Wirkungsgrad von über 80 Prozent realisieren zu können.“ Üblich bei der Stromübertragung über Hochspannungsleitungen ist je nach Land und unter Berücksichtigung von Verlusten, zum Beispiel durch Stromdiebstahl, ein Wirkungsgrad von 60–95 Prozent. Metamaterialien, etwa Verbundwerkstoffe aus Metall und Kunststoff, haben „unnatürliche“ optische, elektrische und magnetische Eigenschaften. Sie enthalten künstlich hergestellte, sich wiederholende Strukturen, die auf ungewöhnliche Weise mit elektromagnetischen Wellen interagieren, sofern die Strukturen kleiner als die Wellenlänge sind. Beispielsweise kann ein Körper aus Metamaterial Radarstrahlen so um sich herumleiten, dass er für das Radar unsichtbar bleibt.
Aktuell finden Feldversuche statt
Kushnir erklärt: „Die präzise Form, Geometrie, Größe, Ausrichtung und Anordnung der Strukturen verleiht den von uns entworfenen und gebauten Metamaterialien intelligente Eigenschaften, mit denen wir elektromagnetische Energie blockieren, schwächen, verstärken oder umlenken können.“ Emrod nutzt zur drahtlosen Stromübertragung die Frequenz 5,8 Gigahertz. Diese Frequenz, mit der unter anderem auch Radar, Richtfunk, WLAN und Bluetooth arbeiten, ist weitgehend unabhängig von Witterungseinflüssen. Die von Emrod entwickelte Strahlformungstechnik führt die Energie in Form eines stark gebündelten „Stabs“ von der Sendeantenne über Relaisantennen zur Empfangsantenne. Von dieser Technik leitet sich auch der Unternehmensname ab: „Em“ steht für elektromagnetisch, „rod“ für Stab. In Kooperation mit dem neuseeländischen Energieversorger Powerco hat Emrod einen größeren Indoor-Prototyp entwickelt und plant ein kabelloses System, mit dem das Versorgungsnetz von Powerco weiter ausgebaut werden kann. Das System soll dazu beitragen, abgelegene Orte mit Strom zu versorgen und in Gebieten mit schwierigem Gelände die teure Verlegung von Kupferkabeln überflüssig zu machen – bei deutlich geringeren Wartungskosten und Umweltbelastungen. „Gerade für die Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen“, so Kushnir, „bietet sich die kabellose Energieübertragung als Schlüsseltechnik an, um die Energie nachhaltig zum Verbraucher zu transportieren.“ Denn der Transport per Kabel bedeutet einen hohen Raumbedarf durch Umspannwerke und Leitungsmasten, einen großen Materialaufwand etwa an Kupfer und Stahl sowie einen erheblichen Wartungs- und Reparaturaufwand.
Porträt
Greg Kushnir
Greg Kushnir, geb. 1974 in Russland, wuchs in Israel auf. Er studierte Informatik in Tel Aviv und New York. Seit 2001 lebt er mit seiner Familie in Neuseeland. Er gründete mehrere Software-Firmen, bevor er sich dem Thema „nachhaltige Energieübertragung“ zuwandte. Er hält einen Doktortitel in Philosophie der Mathematik der University of Waikato, Neuseeland.Die drahtlose Energieübertragung über kurze Strecken ist bereits Teil unseres Alltags. Der drahtlose Energietransport über weite Strecken erfordert einen erheblichen technischen Aufwand, wie etwa das hoch spezialisierte Antennendesign von Emrod, um die Verluste niedrig zu halten. Wenn jedoch Sender und Empfänger nur wenige Zentimeter voneinander entfernt sind, ist ein verlustarmer Energietransport durch die Luft einfacher zu realisieren – und bereits Stand der Technik. Im einfachsten Fall sind Sender und Empfänger zwei Spulen, die sich in geringem Abstand gegenüberstehen.
Das Prinzip der induktiven Kopplung ist etabliert
Schickt man durch die Sendespule einen Wechselstrom, dann induziert dessen magnetisches Wechselfeld in der Empfängerspule eine Wechselspannung. Mit diesem Prinzip der induktiven Kopplung arbeiten heute bereits kontaktlose Ladestationen von elektrischen Zahnbürsten und Smartphones. Auch weiterentwickelte Systeme, die Strom mit hohem Wirkungsgrad kabellos bis zu zwei Meter übertragen, werden bereits kommerziell angeboten. Weit verbreitet sind passive RFID-Transponder (RFID = radiofrequency identification), die keine externe Stromversorgung oder Batterie brauchen. Die winzigen Transponder dienen als Chipkarten für Zutrittskontrollen, als Wegfahrsperre in Autoschlüsseln, als Implantate zur Kennung von Tieren, als Funketiketten zur Kennzeichnung von Waren und vielem mehr. Die Strahlen des Lesegeräts übertragen nicht nur Informationen, sondern auch die Energie zum Betrieb des Transponders. Auch Schienenfahrzeuge wie der Transrapid werden durch induktive Kopplung über wenige Zentimeter kabellos mit Energie versorgt. Von besonderer Bedeutung dürfte die Technik für Elektroautos werden: Auf der Ladespur einer Straße, in die Spulen oder Platten eingebettet sind, könnten die Autoakkus in Zukunft während der Fahrt wieder aufgeladen und die Reichweite auf Tausende Kilometer erweitert werden. Allerdings ist die Herausforderung bei E-Mobilität und industriellen Anwendungen ungleich größer als bei RFIDs und Kleingeräten. Ein Smartphone-Akku lässt sich mit einer Leistung von 5 Watt schnell aufladen. Für Elektrofahrzeuge, mobile Lagerroboter, Flurfördermaschinen und andere Industriegeräte müssen 1.000-mal höhere Leistungen kabellos bereitstehen. Solche Systeme stecken noch in den Kinderschuhen. Immerhin hat ein Team der University of Colorado Boulder, USA, kürzlich einen Testaufbau präsentiert, der 1 Kilowatt über eine freie Strecke von 12 Zentimeter überträgt.
Porträt
Derek Lovley
Derek Lovley studierte Mikrobiologie an der Michigan State University. Nach der Promotion war er ab 1984 Mitarbeiter des United States Geological Survey. Dort entdeckte und erforschte er eine neue Gruppe von Bakterien (Geobacter). 1995 wurde er zum Professor an die University of Massachusetts Amherst berufen. Von 1997 bis 2004 leitete er dort die Abteilung für Mikrobiologie, seit 2000 ist er Distinguished Professor.Das Team nutzt nicht die induktive, sondern die kapazitive Kopplung, bei der ein hochfrequentes elektrisches Feld Energie überträgt. Ob das Prinzip auf die industrielle Praxis optimierbar und skalierbar ist, müssen zukünftige Machbarkeitsstudien zeigen. Denn die Industrie braucht nicht nur Systeme mit geringen Verlusten. Sie verlangt auch standardisierte Designs, robuste Bauteile, die rauen Produktionsbedingungen standhalten, und intelligente Mikrocontroller, die die Energieübertragung optimieren. Einig sind sich alle Experten, dass die Potenziale des Industrial Internet of Things (IIoT), der Vernetzung von Maschinen, Lager- und Nutzfahrzeugen, Robotern und Sensoren, erst wirklich ausgeschöpft werden können, wenn die Komponenten von Kabeln befreit werden. Dadurch werden sie nicht nur mobiler und flexibler einsetzbar, der Wegfall von Steckern und Buchsen und damit von Kontaktproblemen und Undichtigkeiten macht sie auch zuverlässiger und wartungsärmer. Möglicherweise ist die kabellose Stromübertragung aber nur eine Übergangstechnologie. Wissenschaftler der University of Massachusetts Amherst haben kürzlich Air-gen vorgestellt, einen fingernagelgroßen Generator, der Strom einfach aus Luft, genauer aus Luftfeuchtigkeit, erzeugt. Das Team um den Mikrobiologen Derek Lovley und den Physiker Jun Yao nutzt elektrisch leitende fadenförmige Zellfortsätze, die Bakterien der Art Geobacter produzieren. Air-gen besteht aus einem etwa 8 Mikrometer dünnen Film solcher ProteinNanodrähte (e-PNs). Die e-PNs bilden ein lockeres Netzwerk mit Nanokanälen, durch die sich Wassermoleküle bewegen können. Der Film ist auf eine 5×5 Millimeter große Goldelektrode aufgebracht. Oben bedeckt eine kleinere Goldelektrode (1×1 Millimeter) den Film nur teilweise, sodass er hier Wasser aus der Luft aufnehmen und durch die Kanäle nach unten leiten kann. Weil in tiefere Schichten weniger Wasser vordringt, stellt sich ein konstantes Konzentrationsgefälle ein.
20 Stunden liefert Airgen aktuell Strom
Yao, Juniorprofessor am Department of Electrical and Computer Engineering, erläutert den Mechanismus der Stromerzeugung: „Ein Wassermolekül, das sich an ein e-PN anlagert, gibt eine elektrische Teilladung an diesen ab. Infolge des Konzentrationsgefälles ist die Ladungsdichte in oberen Schichten des Films größer als in unteren, und das erzeugt eine Spannung zwischen den Elektroden sowie einen Stromfluss.“ 20 Stunden lang liefert der Air-gen-Prototyp kontinuierlich Strom, um kleine Elektronikbauteile mit 0,5 Volt zu betreiben. Danach lädt sich die Minizelle ca. 5 Stunden lang an feuchter Luft wieder auf und wiederholt den Zyklus. Das Amherst-Team ist überzeugt, die Ausgangsleistung durch Modellierung der e-PN-Eigenschaften deutlich steigern und durch Stapelung vieler Air-gens sogar die Leistungsdichte von Solarzellen übertreffen zu können.
Die Vorteile der Air-gen-Technik gegenüber den erneuerbaren Energieformen Wind und Sonne: Air-gen arbeitet bei Tag und Nacht, auch in Innenräumen, und ist unabhängig von Witterungsbedingungen. Luftfeuchtigkeit ist überall vorhanden. Prof. Lovley, Leiter des Department of Microbiology, ist überzeugt: „Air-gen erlaubt eine umweltfreundliche Energiegewinnung, die weit weniger durch Standort- oder Umweltbedingungen eingeschränkt ist als andere nachhaltige Ansätze.“ Derzeit arbeiten die Forscher an winzigen Air-gen-Einheiten, die Wearables wie Gesundheits- und Fitnessmonitore und Smartwatches mit Strom versorgen können. Der Zusammenschluss mehrerer Einheiten soll später zum Beispiel auch Smartphones batterieunabhängig machen. „Unser Fernziel“, so Yao, „sind hoch skalierte kommerzielle Anlagen, die einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigen Stromerzeugung leisten.“ Lovley ergänzt: „Geobacter ist für eine technische Massenproduktion von e-PNs nicht geeignet. Deshalb haben wir Escherichia coli (E. coli), eine viel robustere Bakterienart, genetisch so modifiziert, dass sie e-PNs mit hoher Ausbeute produziert.“ E.-coli-Kulturen lassen sich in großer Menge kostengünstig mit Glycerin, einem Abfallprodukt der Biodieselproduktion, züchten. Damit ist der Weg für eine nachhaltige Massenproduktion von Air-gen-Generatoren aus erneuerbaren Rohstoffen geebnet. Aber es wird noch Jahre Entwicklungsarbeit brauchen, bis sich zeigt, ob dieses Konzept eine Nischentechnologien bleibt oder die industrielle und die Alltagswelt radikal verändert.
Porträt
Jun Yao
Jun Yao promovierte 2012 in angewandter Physik an der Rice University in Texas. Ab 2011 arbeitete er als Postdoktorand in der Abteilung für Chemie und chemische Biologie der Harvard University. Im Jahr 2017 wechselte er an die University of Massachusetts Amherst. Dort ist er Dozent an der Fakultät für Elektro- und Computertechnik.So funktioniert Air-gen:
Fotografie Copyrights
Header, Bild 1 und 2, Porträt Greg Kushnir: Emrod
Porträt Derek Lovly: Volker Steger / Science Photo Library
Air-Gen Rendering: UMass Amherst / Yao and Lovley labs
Porträt Jun Yao: John Solem
Air Gen Grafik: GfG / Gruppe für Gestaltung GmbH