Mit dem Mikroskop in eine neue Welt

Während viele seiner Zeitgenossen die damals neu entwickelten optischen Instrumente wie Fernrohre nutzten, um ferne Himmelskörper zu beobachten, erforschte er das Unbekannte in seinem direkten Umfeld: Der niederländische Tuchhändler Antoni van Leeuwenhoek gilt als Begründer der Mikrobiologie. Mit seinen selbst gebauten Mikroskopen erreichte er Vergrößerungen, die alles bis dahin Bekannte übertrafen.

Das 17. Jahrhundert ist in den Niederlanden noch heute als „Goldenes Zeitalter“ bekannt. Der internationale Handel florierte, Städte und Häfen wuchsen, mit der wirtschaftlichen Blüte ging eine kulturelle einher. Wegen der dort herrschenden Religionsfreiheit kamen zahlreiche Schriftsteller und Gelehrte ins Land, um frei publizieren und lehren zu können. In diese Zeit des Wohlstands und der Liberalität wurde Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723) in Delft als Kind eines Korbmachers und der Tochter eines Bierbrauers geboren. Schon früh interessierte er sich für Mathematik und Physik, ging aber im Alter von 16 Jahren auf Wunsch seiner Mutter nach Amsterdam, um sich zum Tuchhändler ausbilden zu lassen. Sechs Jahre später kehrte er in seine Heimatstadt zurück, wo er ein Haus kaufte, heiratete und einen Tuchladen eröffnete.

Die älteste überlieferte Zeichnung eines Leeuwenhoek-Mikroskops aus dem Jahr 1753. Alle Mikroskope, die Leeuwenhoek der Royal Society, der 1660 gegründeten britischen Gelehrtengesellschaft, zur Wissenschaftspflege, vermacht hatte, entsprachen diesem Typ. Oben ist die dem Auge zugewandte Seite zu sehen, unten die Präparatseite mit der Präparathalterung.

Da der Tuchhandel damals in den Niederlanden ein starker Wirtschaftsfaktor war, waren die ökonomischen Aussichten für den jungen van Leeuwenhoek ausgezeichnet. Hinzu kam, dass der Tuchhändler bei seinen Mitmenschen aufgrund seiner klugen und zuverlässigen Art großes Ansehen genoss und im Laufe der Jahre wichtige Ämter ansammelte: So nahm er die Stelle eines Kammerherrn im Delfter Rat an, wurde als Landvermesser zugelassen und schließlich auch zum Eichmeister für alkoholische Getränke ernannt. Die früh gewonnene finanzielle Unabhängigkeit nutzte Antoni van Leeuwenhoek, um mit großer Leidenschaft seinem liebsten Hobby nachzugehen: der Mikroskopie. „Angefangen hat alles wahrscheinlich damit, dass er einen Fadenzähler bauen wollte – also eine Art Vergrößerungsglas, mit der sich die Dichte und Qualität von Webstoffen untersuchen lässt“, erläutert Dr.-Ing. Timo Mappes, Professor für Geschichte der Physik an der Friedrich Schiller-Universität Jena und Gründungsdirektor des dortigen Deutschen Optischen Museums. „Das mit diesem kleinen Instrument zu Sehende muss ihn so fasziniert haben, dass er von da an eine echte Passion für dieses Thema entwickelt hat.“

Die Fernrohre und Mikroskope des 17. Jahrhunderts waren meist aus zwei oder mehr Linsen aufgebaut. Da das Glas nicht homogen genug hergestellt werden konnte, waren die Abbildungen meist verzerrt. Zudem wiesen die erzeugten Bilder oft deutliche Farbränder auf. Van Leeuwenhoek entwickelte nun ein Gerät, das lediglich aus einer in zwei Metallplatten eingeschlossenen Kugellinse bestand. Er befasste sich intensiv mit der Linsenschleiferei und perfektionierte sie, wodurch er schließlich eine mindestens 270-fache Vergrößerung erreichte. Damit stellte er alle bisherigen Mikroskope in den Schatten und gewann Einblicke in eine Welt, die vor ihm noch niemand gesehen hatte. „Er war es, der die ersten Bakterien gezeichnet und viele andere Mikroorganismen als Erster beschrieben hat“, macht Mappes deutlich. „Damit hat er die Basis dafür geschaffen, dass nachfolgende Generationen auf diese Themen aufmerksam wurden und schließlich Zusammenhänge verstehen konnten.“

Porträt

Timo Mappes

Prof. Dr.-Ing. Timo Mappes (45) schloss sein Studium des Maschinenbaus 2003 an der Universität Karlsruhe ab. Dort promovierte er anschließend mit einer experimentellen Arbeit zur Mikrostrukturtechnik. 2006 war er Mitglied des Kernteams für den Zusammenschluss von Universität und Forschungszentrum Karlsruhe zum Karlsruhe Institut für Technologie (KIT). Nach Gastprofessuren in Dänemark und Frankreich wechselte er 2012 zur Carl Zeiss AG. Hier führte er schließlich die globale Forschung und Entwicklung der Brillengläser mit gut 200 Beschäftigten auf vier Kontinenten und verantwortete das IP-Portfolio. Mitte 2018 wurde er als Professor für Geschichte der Physik an die Friedrich-Schiller-Universität Jena berufen, wo er zugleich als Gründungsdirektor des neu entstehenden Deutschen Optischen Museums (D.O.M.) fungiert. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich Mappes aus persönlichem Interesse in der Dokumentation und Wissenschaftsgeschichte des Mikroskopbaus einen hervorragenden Ruf durch unterschiedliche Formen der Veröffentlichung erarbeitet.

Briefwechsel mit Zar Peter dem Großen

Als Laie hatte van Leeuwenhoek keine wissenschaftliche Bildung und beherrschte keine Sprachen außer Niederländisch. Dennoch gelang es ihm, sich mit seiner Arbeit international großen Respekt zu verschaffen. So teilte er seine Beobachtungen in mehreren hundert Briefen der renommierten Gelehrtengesellschaft Royal Society in London mit, die seine Aufzeichnungen ins Lateinische übersetzte und ihn 1680 sogar als Mitglied aufnahm. Darüber hinaus korrespondierte er mit vielen Persönlichkeiten seiner Zeit, von denen einige ihn auch in Delft besuchten – unter anderem Zar Peter der Große, die englische Königin Maria II. sowie Gottfried Wilhelm Leibniz.

Auf welche Weise er seine Apparate herstellte, daraus machte der Autodidakt Zeit seines Lebens ein Geheimnis. Warum er das tat, ist bis heute nicht bekannt. Fest steht, dass ihre Handhabung im Vergleich zu heutigen Mikroskopen viel Übung erforderte. „Man hielt sich die Metallplattenkonstruktion vor das Auge und blickte durch ein weniger als zwei Millimeter großes Loch, in dem die Kugellinse gefasst war“, erläutert Prof. Mappes. „Auf der anderen Seite war das zu untersuchende Objekt auf einer Nadelspitze platziert, die sich mithilfe einer Gewindestange wie eine Schraube bewegen ließ. Durch den Abstand zur Linse wurde die Schärfe mittels einer zweiten Schraube eingestellt.“ Da van Leeuwenhoek offenbar für jedes Präparat ein eigenes Gerät baute, sind in seiner Werkstatt nachweislich mehr als 500 Mikroskope für unterschiedliche Anwendungen entstanden.

Während er zunächst noch wahllos alles untersuchte, was ihm vor die Linse kam, stieg Antoni van Leeuwenhoek mit der Zeit immer tiefer in die gezielte Naturforschung ein und hielt gewissenhaft schriftlich fest, was er sah. Zu jener Zeit war noch die Theorie der Spontanzeugung verbreitet, laut der bestimmte kleine Lebewesen aus Staub entstehen können. Van Leeuwenhoek vermutete, dass dies falsch sei, und teilte seine Erkenntnisse. Er war der Erste, der die unkontrollierten Bewegungen von Spermien und roten Blutkörperchen beschrieb. Und auch die Beobachtung, dass sich die von ihm so benannten kleinen „Tierchen“ (Bakterien) in seinem Zahnbelag nicht mehr bewegten, wenn er sie mit Essig behandelte, war spektakulär. „Er hat zwar viele Zusammenhänge noch nicht verstanden“, erläutert Mappes. „Seine empirische Herangehensweise hat ihn aber erkennen lassen, dass es im Kleinen unendlich viel zu entdecken gibt. Und dem ist er auf die Spur gegangen.“

Spermatozoen
Antoni van Leeuwenhoek war ein talentierter Zeichner, der seine Beobachtungen auf diese Weise für die Nachwelt festhielt. Diese Abbildung zeigt eine Zeichnung von Spermatozoen verschiedener Säugetiere aus dem Jahr 1677. Diese spektakuläre Entdeckung von van Leeuwenhoek belegte, dass die Spermatozoen von Säugetieren ähnlich sind.
Auf diesem Bild zu sehen sind 1719 von van Leeuwenhoek beobachtete und gezeichnete Blutgefäße mit den Blutkörperchen darin.

Nur noch knapp ein Dutzend der Mikroskope, die van Leeuwenhoek herstellte, sind heute als erhalten bekannt. Vier davon befinden sich im Museum Boerhaave in Leiden, zwei im Deutschen Museum in München, die übrigen in anderen Museen oder in Privatbesitz. „Es hat hundert Jahre gedauert, bis es Geräte mit einer vergleichbaren Auflösung gab und sich seine Beobachtungen in der Breite reproduzieren ließen“, macht Prof. Mappes deutlich. Man könne dem Niederländer vielleicht ankreiden, dass er sein Wissen um die Herstellung seiner Mikroskope nicht ausführlicher und detaillierter schriftlich geteilt habe. „Aber wie er den Mikrokosmos in seinem unmittelbaren Umfeld entdeckt und beschrieben hat, das war herausragend.“

Fotografie Copyrights:

Porträt historisch: The History Collection / Alamy Stock Photo; Mikroskop: Wikimedia Commons; Porträt Mappes: Anne Günther / FSU; Skizze 1: GBB / Alamy Stock Photo; Skizze 2: Science History Images / Alamy Stock Photo


Illustration Frau Wehrmann

Anne-Katrin Wehrmann
Journalistin und Texterin