Forschung und Entwicklung von Sportgeräten für Olympia

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Wenn deutsche Sportler:innen bei Olympia oder Weltcups Medaillen holen, dann meist mit tatkräftiger Unterstützung des Instituts für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES). Sein Auftrag: Technologisch abhängige Sportarten mit dem bestmöglichen Equipment auszustatten. Enrico Zinn, Projektleiter Bobbau, hütet hierfür einige der größten Geheimnisse des hiesigen Sports und wandelt zwischen Schreibtisch, Werkstatt und weltweiten Eiskanälen.

Das Gebäude im Osten Berlins wirkt unscheinbar, doch schon beim Betreten des Foyers wird deutlich, dass hier Träumen auf die Sprünge geholfen wird: Eine über 4 m lange Tafel präsentiert stolz alle Titelträger:innen mit FES-Ausrüstung. Über 150 olympische Goldmedaillen haben Spitzensportler:innen mit den Hightech-Entwicklungen seit Institutsgründung 1963 eingefahren. „Wir dienen dem deutschen Leistungssport“, formuliert es Entwicklungsingenieur Enrico Zinn bescheiden. Den historischen Triumph – alle drei Plätze auf dem Treppchen – im Zweierbob der Männer bei Olympia 2022 in Peking nennt er, der live vor Ort war, „einen Beleg unserer Arbeit.“ Bereits zu DDR-Zeiten setzte das Institut Maßstäbe und deklassierte die Konkurrenz – etwa mit Ruderbooten und Fahrrädern aus leichterem Karbon. Heute sind hier 80 Mitarbeitende – einige selbst ehemals im Leistungssport aktiv – aus diversen Bereichen tätig: Sportingenieurwesen, Elektrotechnik und Mechatronik, Soft- und Hardware-Entwicklung, Maschinen-bau, Fahrzeugtechnik, Faserverbundtechnik, CNC-Fräsen und vieles mehr. Das breit aufgestellte Team ist kein Zufall, denn zum einen entwickeln und fertigen sie Sportgeräte für bis zu 14 Sportarten. Zum anderen werden dafür stets neueste Tools und Erkenntnisse aus anderen Branchen wie der Automobilindustrie oder Mess- und Informationstechnik herangezogen. Zinn erklärt: „Wir übertragen wissenschaftliche und industrielle Standards interdisziplinär auf Sportgeräte.“ Denn gerade in jenen Sportarten, wo die körperlichen Grenzen nahezu ausgereizt sind, kommt dem Material und seinem Engineering eine enorme Bedeutung zu. 

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Neben dem Bobbau fertigt das FES auch Kanus und Ruderboote (Bild). Zudem zählen Radsport, Segeln, Eisschnelllauf, Rennschlitten, Skeleton sowie Teilaufgaben für Triathlon, Ski, Schwimmen und Schützensport zum Portfolio. © Getty Images / Boris Streubel

Bevor die Hightech-Bobs, bestehend aus einer Hülle aus Kohle- und Glasfaser sowie einem Fahrwerk aus Stahl, mit bis zu 130 km/h die Bahn hinuntergleiten, steht jedoch die Konstruktion im Fokus. „Aus Reglement-Änderungen, den Rennen und den Gesprächen mit den Athlet:innen ergeben sich immer Optimierungspotenziale. Dann befüllen wir unsere Software-Modelle mit neuen Ideen, um Vorhersagen über das künftige Aerodynamik- und Fahrverhalten des Boliden zu treffen. Das Programm ist so genau, dass selbst die kleinste anders konzipierte Schraube die Simulation beeinflusst“, erläutert Zinn beim Gang durch die Werkstätten, in denen es nach frisch angerührtem Kunstharz riecht. Der Grund für diesen Software-first-Ansatz liegt auf der Hand: Stets einen neuen Bob zu bauen und dann erst zu testen, ob die Performance stimmt, wäre schlichtweg zu kosten- und zeitintensiv. Passen die Parameter im virtuellen Windkanal, folgen Laborprüfungen hinsichtlich Steifigkeit oder auch Dämpfung. Danach erst stehen die Fertigung und Fahrten an der Bahn sowie die Validierung im echten Windkanal mit dem neuen Modell und seinem Vorgänger an.

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Enrico Zinn

Enrico Zinn (42) studierte Maschinenbau an der Hochschule für Technik und Wirt-schaft Berlin. Bereits seine Master-Thesis zur Entwicklung eines Bobfahrwerks schrieb er unter dem Dach des FES. Seit 2008 ist der gebürtige Sachse dort fest angestellt und leitet mittlerweile den Bereich Bobbau. Dem Leistungssport war Zinn auch davor schon eng verbunden – als passionierter Radsportler fuhr er nationale und internationale Rennen. © picture alliance / dpa / Michael Kappeler

Virtueller Windkanal: Software first

Nach einem typischen Arbeitstag gefragt, winkt der Leiter Bobbau ab: „Das entscheidet die Jahreszeit.“ Im Sommer ist Konst-ruktionsphase, im Herbst geht es um Test und Auswertung an den Bahnen. Hier muss Zinn auch immer mal wieder das Setup des Bobs adaptieren. Im Winter ist das Team voll im Weltcup-Modus: Endlich darf sich die FES-Karosse im Wettkampf beweisen. „Da habe ich dann schweißnasse Hände, ob alles so funktioniert wie geplant“, grinst Zinn. Im Vierjahres-Turnus müssen zudem neue Projektanträge geschrieben werden. Da sitzt der Ingenieur auch mal wochenlang nur am Schreibtisch. „Ich schätze diese Abwechslung an meinem Job. Nach der Konzeption betreuen wir den gesamten Fertigungsprozess. Da kann ich einfach zwei Etagen tiefer in die Werkstatt gehen und mich mit der Montage-Abteilung direkt am Bauteil austauschen.“ So würden Probleme rechtzeitig erkannt und behoben. Das ist wichtig, denn der Leistungsdruck ist hoch. Bleiben die Erfolge auf der Strecke, steht das vom Bundesministerium des Innern finanziell geförderte FES automatisch mit in der öffentlichen Kritik. „Damit muss man umgehen können“, sagt Zinn lapidar. 

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Mittels CFD-Software (Computational Fluid Dynamics) lässt sich auch die kleinste Verände-rung an der Außenhülle des Bobs im Strömungsverhalten ablesen und so die Performance prognostizieren. © Getty Images / Boris Streubel

Besondere Umstände, die sich auch auf das Firmengebäude auswirken: Um das eigene Know-how sowie die streng geheimen Neuentwicklungen zu schützen, ist es mehrfach gesichert und auch die IT gegen Hackerangriffe gewappnet. Sind die Bobs auf Tournee, werden sie außerhalb der Ein-sätze mit Planen vor neugierigen Blicken verdeckt. Der Sachse schränkt aber ein: „Alles können wir nicht verstecken, die TV-Kameras laufen ja auch mit. Entdecken wir dann später eine Bauteilkopie bei einem Kontrahenten, sehen wir das teils auch als Ritterschlag.“ Bis zu 1.200 Arbeitsstunden stecken in einem fertigen Viererbob, der um die 100.000 € wert ist. Dabei ist jeder Bob ein Unikat, wenngleich standardisierte Baugruppen für viele Komponenten die Basis bilden. „Wir ermöglichen den Sportler:innen sehr viel Mitspracherecht und fordern dies auch ein. Direkte oder indirekte Lenkung, die Art der Lagerung und der Komfort der Sitzschale – vielerorts schneiden wir das Sportgerät individuell auf die Körpermaße und Bedürfnisse der Pilot:innen zu. Aber bei aller Perfektion müssen wir auch auf Effizienz und unser Budget achten“, unterstreicht Zinn. Und teilweise sind der Tüftelleidenschaft auch offizielle Grenzen gesetzt: „Die Kufenaufhängung beim Bob ist im Regelwerk so strikt definiert, da ist kein Spielraum für Sonderanfertigungen.“Während andere Verbände vor großen Events den Bobbau temporär an Firmen oder Universitäten auslagern, wird das Fachwissen für den deutschen Sport im FES-Kosmos über Jahrzehnte konserviert – ein riesiger Vorteil. 

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Strahlende Gesichter bei der Siegerzeremonie (v.l.n.r.): Johannes Lochner mit Florian Bauer (Silber), Francesco Friedrich mit Thorsten Margis (Gold) und Christoph Hafer mit Matthias Sommer (Bronze). © picture alliance / Johann Groder / EXPA / picturede / Johann Groder

Dennoch betont Zinn: „All die Vorarbeiten sind nichts wert, wenn direkt an der Bahn im laufenden Betrieb nicht exakt am Fahrzeug geschraubt und feinjustiert wird. Denn dann ist auch der innovativste Bob zu langsam.“ Deshalb ist die Anspannung gerade bei Olympia, dem Vierjahres-Highlight, immer groß. Das gesamte Team versammelt sich dann vor dem Fernseher und ist im Erfolgsfall stolz und erleichtert, seinen Beitrag geleistet zu haben. Denn am Medaillenerfolg misst sich die Daseinsberechtigung des Instituts. „Es geht für uns immer darum, die letzten Hundertstel herauszuholen“, bringt es Zinn auf den Punkt. Hier beim FES, wo pures Gold produziert wird – wenn auch nur im übertragenen Sinne. 

Intro-Bild: © FES / Enrico Zinn

Illustration Bastian Korte
Der Autor:
Bastian Korte
PR-Berater und Redakteur bei Dialog Public Relations