„Energieautarkie und Enttechnisierung sind das neue Smart-Home“

Stefan Mays

Je mehr Technik, desto besser: Dieses Credo gilt für viele Lebensbereiche, auch für das Wohnen. Aber wie sinnvoll ist es, Gebäude mit immer komplexeren technischen Systemen auszustatten? Prof. Dipl.-Ing. Timo Leukefeld rät zum Umdenken. Der Experte für energieautarkes Wohnen ist überzeugt, dass Neubauten schon in wenigen Jahren weitgehend ohne konventionelle Haustechnik auskommen werden.

Herr Prof. Leukefeld, Sie forschen aktuell zum „enttechnisierten“ Haus. Wie sind Sie dazu gekommen?

Zum einen aus betriebswirtschaftlicher Logik. Planer und Architekten stöhnen mittlerweile über die enormen Kosten für Haustechnik wie Lüftungsanlagen, Wärmepumpen oder Bus-Systeme für Smart Homes. Es ist darum zwingend erforderlich, diese Kosten wieder zu senken. Zum anderen hatte ich ein persönlich schmerzhaftes Erlebnis: Ich besitze nämlich ein solches Bus-System und das ist kaputtgegangen. Leider hatte der Anbieter kurz vorher Insolvenz angemeldet und konnte weder Ersatzteile noch technischen Support liefern. Im eigenen Haus zu sitzen ohne Licht, ohne Heizung, ohne die Jalousien bedienen zu können, ist nicht gerade angenehm und offenbart den Zielkonflikt – wir übertechnisieren und haben im schlimmsten Fall niemanden mehr, der die Dinge reparieren kann. Das macht uns komplett abhängig.

 

Zugleich machen Sie sich für technikgestützte vernetzte Energieautarkie von Gebäuden stark. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, denn beides gehört zusammen. Durch Enttechnisierung senken wir die Bau- und später auch die Reparatur- und Wartungskosten. Durch Energieautarkie ermöglichen wir unter anderem neue Geschäftsmodelle, mit denen Vermieter ihre Einnahmen erhöhen können. Zusammen mit zwei Kollegen habe ich zum Beispiel gerade ein Modell für Mehrfamilienhäuser entwickelt, das eine für zehn Jahre festgeschriebene Pauschalmiete inklusive Energieflatrate vorsieht. Da sind Wohnen, Wärme, Strom und Elektromobilität schon enthalten. Die Grundvoraussetzung dafür ist ein energieautarkes Gebäude. Unser Ansatz lautet: So viel Technik wie nötig, aber so wenig wie möglich.

Ansonsten droht bei zu viel Technikeinsatz die Gefahr einer „dritten Miete“, wie Sie es nennen?

Wir müssen grundsätzlich unterscheiden zwischen Effizienz und Effektivität. Effizienz heißt, den Wirkungsgrad zu verbessern. Wenn ich aber etwas Falsches im Wirkungsgrad verbessere, wird es nur etwas weniger falsch. Deswegen rede ich viel lieber über Effektivität: Also was sind die wichtigen Dinge, die ich tun muss? Neben der Kaltmiete zahlen wir eine zweite Miete für Betriebskosten. Diese will die Politik durch Vorgaben wie die Energieeinsparverordnung senken. Dafür gibt es viele unterschiedliche Technologien, deren Lebensdauer leider aber immer weiter abnehmen, während es gleichzeitig immer weniger Handwerker gibt, die sie reparieren könnten. Wir sprechen inzwischen von der „dritten Miete“, die sich aus den Kosten für Wartung und Reparatur der Technik ergibt. Es ist anzunehmen, dass diese Kosten die eingesparten Energieausgaben in Zukunft bei Weitem übertreffen werden. Daraus resultiert unsere Motivation, über Enttechnisierung nachzudenken.

 

Wie sollte modernes Bauen denn aussehen?

Da gibt es viele Aspekte. Es beginnt schon bei der Architektur und der Auswahl der Baustoffe, durch die wir wieder mehr Speichermasse in die Gebäude bringen sollten. Wenn ich zum Beispiel mit Ziegeln baue und Betonplatte, Außenwand sowie Zwischendecken etwas dicker mache, hilft mir das, im Sommer zu kühlen und im Winter die Wärme länger zu halten. Mit Blick auf die Haustechnik wäre modernes Bauen für mich eine Art Low-Hightech: Fotovoltaik, eine Batterie, ein Heizungssystem auf Basis von Infrarotstrahlen – das ist Hightech und sinnvoll. Darüber hinaus ist vieles machbar, kann aber ausgespart werden. Wir sollten uns wieder auf einfache, langlebige Systeme besinnen, die störungsarm sind. Dies gilt im Übrigen gleichermaßen für Firmengebäude. Denn auch Unternehmer, ob Bauherr oder Mieter, sparen bares Geld durch energetisch ausgewogene Maßnahmen und profitieren von langfristiger Planungssicherheit.

Wie würden Sie denn ein solches Haus nennen? Das ist ja nicht das klassische Smart Home, wie wir es heute verstehen.

Diese Enttechnisierung ist letztlich das neue Smart. Es ist nicht per se schlau, ganz viel Technik einzubauen. Unser Hausmodell mit Infrarotheizung hat beispielsweise keinen klassischen Wärmeerzeuger mehr, keine Fußbodenheizung, keine Heizkörper, keinen Warmwasserboiler, keine Warmwasserleitung, keine Zirkulationsleitung, keine zentrale Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung. Warmwasser wird mittels Durchlauferhitzer auch elektrisch erzeugt. Ich gehe davon aus, dass die bisherigen Wasserheizungssysteme in den nächsten 10 bis 15 Jahren bei Neubauten komplett verschwinden werden. Das ist eine richtige Disruption, eine revolutionäre Innovation der Haustechnik.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Text: Anne-Katrin Wehrmann
Copyright Fotografie: Stefan Mays

FAQ

Die Enttechnisierung eines Hauses lohnt sich deshalb, weil die technischen Systeme, die viele Häuser heute im Überfluss besitzen, enorme Kosten verursachen. Angefangen beim Bau, über Reparaturen bis hin zum erhöhten Stromverbrauch kommen auf Verbraucher viele (versteckte) Kosten zu. Zusätzlich erfordert die Enttechnisierung eines Hauses Handwerker für Wartungen und Reparaturen, die heutzutage immer weniger zur Verfügung stehen.

Energieautark sind jene Wärmekonzepte, die für den Verbrauch von Energie auf lokale Energieträger und –quellen zurückgreifen. Das heißt, es sind keine externen Energiequellen nötig, wenn es zum Beispiel darum geht, eine Region mit Wärme, Elektrizität und Energie für Mobilität zu versorgen.

Energieautarkie umfasst die Energieversorgung in den Bereichen Wärme, Strom (Elektrizität) und Verkehr (Mobilität), welche für Regionen, Gemeinden und Endverbraucher unabhängig von Importen und von fossiler Energie erfolgen kann.

Die Vorteile der Energieautarkie ergeben sich aus der Unabhängigkeit und der optimalen und effizienten Nutzung vorhandener lokaler Potenziale und Ressourcen erneuerbarer Energien. Durch eine dezentrale Energieversorgung entsteht folglich keine Abhängigkeit von großtechnischen Anlagen oder von Energie aus dem Ausland.

Eine dritte Miete lässt sich umgehen, indem auf zu viel Technik im eigenen Zuhause verzichtet wird. Denn smartes Wohnen ist ein zusätzlicher Kostenfaktor, der sich aus der Wartung und Instandhaltung der Technik ergibt. Es empfiehlt sich individuell zu reflektieren, welche Technik im eigenen Zuhause tatsächlich benötigt wird und welche nicht.

Modernes Bauen hat die Vorteile, dass dadurch eine Enttechnisierung und Kosteneinsparung erfolgen kann. Wenn die Gebäudetechnik und Energetik an das Klima und die zu erwartenden Entwicklungen angepasst werden, kann modernes Wohnen ohne zu viel Technik möglich werden.