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Digitalisierung: Grenzenloses Potenzial mit Risikofaktoren

Die deutsche Wirtschaft befindet sich mitten im Transformationsprozess zu einer noch umfassenderen Digitalisierung und Vernetzung. Über die damit verbundenen Chancen, Herausforderungen und Risiken für Unternehmen haben wir mit Peter Knapp, Chief Digital Officer beim Armaturen-Hersteller Samson, und Hartmut Rauen, stellvertrender Hauptgeschäftsführer des VDMA, gesprochen.

 

Herr Rauen, schlummern in der Digitalisierung mehr Chancen oder mehr Risiken für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau?

Hartmut Rauen: Ich sehe vor allem Chancen. Zum einen ist die Branche in Deutschland ein bedeutender Anbieter von intelligenten Produktionstechnologien und zum anderen hat sie mit rund einer Million Beschäftigten auch als Anwender eine große Bedeutung. Ein Risiko besteht insbesondere darin, dass die Idee einer vernetzten Produktion nur dann aufgehen kann, wenn alle Teile der Wertschöpfungskette optimal zusammenpassen. Wer also nicht in der Lage ist, seine Produkte und Prozesse anzupassen, verliert seine Wettbewerbsfähigkeit.

Und wo liegen die Vorteile, wo die Grenzen der Industrie 4.0?

Peter Knapp: Wir bei Samson sehen keine Grenzen und unterscheiden bei den Vorteilen intern zwischen der „Digitalisierung“ und der „digitalen Transformation“. Ersteres beschreibt die digitale Abbildung bestehender Prozesse, unter anderem zur Kosteneinsparung. Digitale Transformation heißt: flexibler auf Kundenwünsche reagieren, schneller neue Produkte produzieren und zielgerichteter neue Geschäftsbereiche sowie Umsatzquellen erschließen. Diese Vision wollen wir in all unseren Wertschöpfungsprozessen umsetzen.

Zunächst müssen aber Geld und Know-how investiert werden. Wie können mittelständische Unternehmen da mithalten?

Knapp: Grundsätzlich gilt: Eine Investition ist nur mit einer übergeordneten Unternehmensstrategie sinnvoll umsetz-­ und finanzierbar. Unternehmen müssen also wissen, was sie erreichen wollen! Bei Samson wollen wir die absolute Sicherheit von Kundendaten gewährleisten, unseren Kunden eine optimale Verfügbarkeit von Informationen garantieren und schnell auf neue Anforderungen, Prozesse und Technologien reagieren. Daran orientiert sich jede Investition.

Rauen: Unternehmen müssen ja nicht zwingend neue Software­-Systeme anschaffen oder entwickeln und damit große Investitionen tätigen. Sie können auch kleine Schritte gehen, beispielsweise indem sie ihre Produkte und Prozesse relevanten Digitalisierungsstandards anpassen.

Wo liegen die größeren Hürden: In der technischen Umsetzung oder in tradierten Unternehmenskulturen?

Knapp: Das Problem sind eher die bestehenden Führungskulturen, die Menschen, die Prozesse: All das muss flexibel und agil sein. Hier hapert es häufg, vor allem in mittelständischen Unternehmen, wo die Führung auf wenige Personen verteilt ist, die vom Tempo der Entwicklungen oftmals überfordert sind.

Welche Rolle spielt die horizontale Wertschöpfung?

Rauen: Die Zusammenarbeit zwischen Partnern entlang der Wertschöpfungskette ist die Königsdisziplin der Industrie 4.0. Denn was nützt einem Unternehmen die Realisierung digitaler Strukturen, wenn diese an der Grenze des eigenen Firmengeländes enden? Gemeinsame digitale Plattformen gelten hier als vielversprechende Kooperationsform. Eine Entwicklung, die vor allem von den marktbeherrschenden Unternehmen im B2B­-Bereich forciert wird, die Marktmacht und Innovationskraft vereinen. Im Engineering­-Sektor sehe ich die Automobilindustrie ganz vorne, die im Zusammenspiel mit dem Maschinenbau eine weltweit führende Position in der Produktionstechnik einnimmt.

Und wo steht der Wirtschaftsstandort Deutschland generell im globalen Digitalisierungstrend?

Knapp: Das hängt stark von der jeweiligen Branche ab. Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir verloren; in den Consumer-­Bereichen Software, Hardware oder E­-Commerce sind eindeutig die Amerikaner führend. Für die Industrie ist das Spiel noch nicht entschieden, da ist Deutschland recht weit und zumindest in Europa ganz vorne dabei.

Sind die auf Perfektion getrimmten Entwicklungszyklen des deutschen Maschinenbaus zu langsam für die digitalen Bedürfnisse der Zukunft?

Knapp: Der Deutsche arbeitet gemeinhin gründlich und erstellt zunächst Pflichten- und Lastenhefte, bevor er etwas umsetzt. Da Schnelligkeit bei der Digitalisierung entscheidend ist, kann das eine Schwäche sein. Im industriellen Umfeld ist es aber auch ein Vorteil: Hier muss alles sauber funktionieren. Besser werden müssen wir in den Bereichen Internet, Software, Hightech und im Entwickeln von Geschäftsmodellen. Hier können wir einiges von den Amerikanern lernen, vor allem Risikobereitschaft. Wenn wir diese Fähigkeiten dann mit unserem Perfektionismus und unseren Stärken im Maschinenbau verbinden, haben wir hervorragende Perspektiven.

Rauen: Das sehe ich ähnlich. Deshalb haben wir vor Kurzem eine Initiative gegründet, mit der wir die Kultur von Start­ups aus der IT­-Industrie stärker an die etablierten Maschinenbauer heranbringen wollen. In Impulsvorträgen oder beim Business-Speed-­Dating werden teilweise Ideen und Synergien zutage gefördert, die ungemein beim Blick über den Tellerrand helfen.

Vielerorts werden neue Schnittstellen nötig sein. Wie könnten und sollten diese aussehen?

Rauen: Wenn Maschinen miteinander kommunizieren, müssen sie die gleiche Sprache sprechen, sich verstehen – eine Weltsprache sozusagen. Mit dem von uns entwickelten industriellen Kommunikationsprotokoll OPC­UA-­Standard ist beispielsweise eine sichere, weltweite und herstellerunabhängige industrielle Kommunikation möglich.

Und wie sollten Unternehmen ihre Datenmengen künftig vor Cyber-Kriminalität schützen?

Knapp: Da gibt es keinen Königsweg. Jedes Unternehmen muss individuell für sich bewerten, welche Bedrohungslagen es gibt und welche Daten schützenswert sind. Darauf aufbauend können Vorgehensweisen abgeleitet und entschieden werden, an welcher Stelle investiert werden muss. Ich habe 14 Jahre Erfahrung als Verantwortlicher für den größten Datenaustauschknoten der Welt in Frankfurt/Main* und kann nur sagen: Die Risiken sind enorm.

Wird die zunehmende Digitalisierung  Arbeitsplätze ersetzen oder neue schaffen?

Knapp: Beides. Eine neue Rolle innerhalb der Wertschöpfungskette wird zum Beispiel die des Data Scientists als Brücke zwischen den unternehmerischen Anforderungen und den Anforderungen der Daten sein. Außerdem werden möglicherweise auch Arbeitsplätze wieder zurück nach Deutschland geholt. Fest steht: Die Digitalisierung lässt sich nicht aufhalten. Wir können nur entscheiden, wie wir sie gestalten wollen.

Rauen: In den vergangenen Jahren gingen die zunehmende Automatisierung und die wachsenden Roboterpopulationen sogar mit steigenden Beschäftigungszahlen in der Industrie einher. Denn die Digitalisierung erhöht die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland. Betrachten wir dazu den demographischen Wandel, dann gehe ich auch davon aus, dass sich der deutsche Arbeitsmarkt positiv entwickeln wird.

Vielen Dank für das Gespräch!


* In Frankfurt am Main sind zahlreiche Rechenzentren beheimatet, an denen Dienstleister Stellflächen für Computer anderer Firmen, sogenannte Co-­Locations, und Cloud-­Computing anbieten. Hierzu zählen auch die Stromzufuhr, die Kühlung und die Sicherheit der vermieteten Infrastruktur. Allein Interxion betreibt zwölf Standorte in der Stadt mit einer Netto-­Rechenzentrumsfläche von insgesamt über 20.000 m2.

Text: Robert Uhde
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