Sieht so die Zukunft der Krebsforschung aus?

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Krebs ist nicht gleich Krebs: Jeder Fall entwickelt eine eigene Dynamik. Das Forschungs-netzwerk SATURN3 leuchtet die Krankheit nun in einer bisher ungeahnten Tiefe aus, um anhand von
personalisierter Behandlung und mithilfe des Immunsystems alle möglichen Krebsarten zu besiegen. Damit könnten in Zukunft völlig neue Behandlungsansätze möglich werden.

Krebs ist in Deutschland die zweit häufigste Todesursache. Jedes Jahr erkranken immer noch eine halbe Million Menschen daran. Einer der Gründe: Beinahe jeder Krebs ist einzigartig – und jedes dieser Krebsgeschwüre entwickelt sich stetig weiter. Forschende aus 13 Einrichtungen in ganz Deutschland verfolgen nun gemeinsam das ambitionierte Ziel, das Geheimnis der ständigen Krebstransformationen zu entschlüsseln. „Der initiale Impuls zu unserem Projekt entwickelte sich spontan in einer Telefonkonferenz mit Jens Siveke, Professor für Translationale Onkologie an der Universität Essen und Andreas Trumpp, der grundlagenwissenschaftlich orientierter Professor am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg ist“, erinnert sich Wilko Weichert, Professor für Pathologie an der Technischen Universität München. „Wir hatten die Idee für ein Programm, das entschlüsselt, warum manche Tumoren von Anfang an nicht oder im Verlauf nicht mehr auf bestimmte Behandlungen reagieren. Und wir wollten herausfinden, mit welchen Mitteln man die Tumoren letztlich dennoch zerstören kann“, erklärt Prof. Weichert, selbst Spezialist für Gewebsentwicklung. Er war sofort Feuer und Flamme, denn er erkannte das Potenzial der  Forschungsfrage. Am Projekt namens Saturn3 nehmen viele der führenden Krebsspezialist:innen aller möglichen Fachrichtungen in Deutschland teil. „Wir kannten uns alle bereits – es lag auf der Hand, dass wir unsere Kompetenzen verknüpfen“, berichtet Prof. Weichert. Durch die breite Expertise der Teilnehmenden könne so die gesamte Forschungskette abgedeckt werden – von der Theorie über Empirie und klinische Studien bis hin zur Entwicklung neuer Behandlungsstrategien.

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Porträt Wilko Weichert

Prof. Dr. Wilko Weichert (52) ist Co-Koordinator des interdisziplinären Forschungsnetzwerks Saturn3. 2010 wurde er an das Nationale Centrum für Tumorerkrankungenberufen, seit 2015 lehrt er Pathologiean der Technischen Universität München. Er ist Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Pathologie und gewählter Fachkollegiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Zudem ist er Berater der Europäischen Arzneimittelbehörde.

Das Ziel des Forschungsteams?

Die zeitliche und räumliche Entwicklung eines Tumors im Verlauf und insbesondere während einer Behandlung genau zu beobachten und zu verstehen. „Wir schauen uns nicht nur den primären Tumor an, so wie es im Moment oft gemacht wird. Wir fokussieren uns auch auf die lokale Heterogenität, wenn es also besonders viele verschiedene Tumorzellen gibt, die sich wiederum völlig unterschiedlich transformieren können“, erklärt Prof. Weichert. Damit versucht das Team von Saturn3, den Tumorveränderungen und Metastasen vorzubeugen. Der Krebs soll so keine Möglichkeit mehr haben, eine Route einzuschlagen, auf der er der Behandlung entkommt. Das gilt besonders dann, wenn die Heterogenität sehr ausgeprägt ist. Auf drei Krebsarten – die auch hierzulande zu den tödlichsten gehören – konzentriert sich Saturn3 vor allem: Darm-, Bauchspeicheldrüsen- und aggressiver Brustkrebs. Sie sind aktuell noch schwierig zu behandeln und betreffen besonders viele Menschen. „Der Tumor ist wie ein lebendes Wesen. Er vollzieht eine Evolution in Windeseile“, sagt der Krebsforscher. „Wir forschen daran, wirklich alle Bausteine des Tumors gleichzeitig richtig zu adressieren.“ Würde das gelingen, könnte das Leben mancher Erkrankter nicht nur verlängert, sondern die Erkrankung teils sogar ganz geheilt werden.

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© Roche Pharma AG, Gruppe für Gestaltung GmbH / Dustin Schröder

Mutierte Antigene als Fremdkörper

Mit ihrem Projekt liegen die Forschenden ganz im Trend zur personalisierten Medizin. Bei diesem Ansatz wird nach einem Schlüssel-Schloss-Prinzip gearbeitet, also die individualisierte und effizientere Medikament- und Therapiekombination für jeden Menschen gesucht. Was nicht funktioniert, soll den Erkrankten von vornherein erspart bleiben. Denn Bestrahlung oder Chemotherapie sind toxisch und bringen schwere Nebenwirkungen mit sich. Um die Behandlung von Krebs zu personalisieren, bedarf es Zweierlei: Im ersten Schritt muss das Schloss definiert, also der Tumor genau verstanden werden. Erst dann wird nach dem Schlüssel, also nach einer funktionierenden Behandlung gesucht. Für ersteres können molekulare Charakteristika erhoben werden. Das geschieht zum Beispiel, indem das Genom oder das Proteinprofil des Tumors durch eine Gewebeentnahme und eine anschließende Analyse ermittelt wird. Eine andere Möglichkeit sind bildgebende Verfahren. Der Tumor wird dabei nicht nur einmal untersucht, sondern regelmäßig im Verlauf der Therapie. Der zweite Schritt, die Behandlung, ist aktuell die große Herausforderung: „Wir sind schon recht gut in der Charakterisierung des Schlosses, aber finden oft den richtigen Schlüssel noch nicht. Und wir können noch nicht genügend adressieren, was das Wachstum des Tumors zu jedem Zeitpunkt auslöst“, erläutert Prof. Weichert. „Wir brauchen eine Therapie, die auch die molekularen Veränderungen einbezieht. Das kann auch eine Kombination von Behandlungsmethoden sein, die je nach Entwicklung des Tumors variieren. Und manchmal muss eine passende Therapie erst noch entwickelt werden.“ Innerhalb der personalisierten Medizin gewinnt in der Onkologie vor allem die sogenannte Immuntherapie an Bedeutung. Hierbei wird das Immunsystem genutzt, um Tumore zu attackieren. Seine Ertüchtigung kann künstlich erfolgen, indem Immunzellen entnommen und modifiziert werden. „Eine andere Herangehensweise ist es, neue Interaktionsflächen zwischen Tumor und Immunsystem zu schaffen. Damit wird das Immunsystem bei der Tumorbekämpfung unterstützt“, erklärt Prof. Weichert. Den Betroffenen werden sogenannte Checkpoint-Inhibitoren verabreicht. Diese Medikamente blockieren Mechanismen, die Tumoren entwickelt haben, um das Immunsystem abzuschalten beziehungsweise um sich vor ihm zu verstecken. „Wir wissen, dass Tumoren mit einer hohen Mutationslast gut auf die Therapie ansprechen“, so der Krebsspezialist. „Durch Mutationen entstandene neue Antigene scheinen hier eine Rolle zu spielen. Diese werden nämlich vom Immunsystem als fremd erkannt und läuten so die Attacke der Immunzellen auf die Tumorzellen ein.

Einsatz von Künstlicher Intelligenz

Auch bei Tumoren mit Proteinen, die den Krebs vor dem Immunsystem tarnen sollen, spricht die Immuntherapie besonders gut an.“ Im Rahmen von Saturn3 nutzen die Forschenden eine Mischung aus
etablierten Methoden und neuester Technologie, um Ergebnisse zu interpretieren. „Neben Hightech zur Gewebsgewinnung und -aufarbeitung setzen wir auf unterschiedliche Methoden zur Analyse des Erbguts und weiterer biologischer Eigenschaften von Tumoren. Dazu zählen DNA- sowie mRNA-Sequenzierung, die Adressierung von Methylierungsmustern und die breite Proteinanalytik“, sagt Prof. Weichert. „Auf diese Weise fügen wir ein Gesamtbild der Biologie von Tumorentwicklungen zusammen.“ Um in der Komplexität versteckte zusätzliche Aspekte aus den erhobenen Daten zu finden, setzt das Team von Saturn3 auch auf die Hilfe von Künstlicher Intelligenz. So sollen molekulare tumorrelevante Veränderungen besser verstanden werden. „Anschließend müssen dann aus unseren
Ergebnissen Untersuchungsmethoden entwickelt werden, die auch an großen Mengen von Erkrankten angewendet werden können.“ Die personalisierte Medizin sowie die Ansätze der Immuntherapie sind eng verknüpft mit dem Trend, verstärkt interdisziplinär zu arbeiten – etwa in Tumorboards, bei denen alle relevanten Disziplinen über die weitere Behandlung eines Falls entscheiden.
Saturn3 kann auf Informationen aus zahlreichen Tumorboards aus ganz Deutschland zurückgreifen.

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© Zentrum für Krebsregisterdaten, Gruppe für Gestaltung GmbH / Dustin Schröder

Heilungserfolge in einigen Jahren

Aus diesen rekrutiert das Team auch Betroffene mit Tumoren, die für die Krebsforschungsprogramme der Zukunft im Fokus stehen. Dabei sorgen heutige Erkenntnisse nicht unmittelbar für Heilung der  aktuell Erkrankten. „Aber es wird in fünf bis zehn Jahren unseren Patient:innen helfen. Allein durch dieses Wissen ist vielen Krebserkrankten die Teilnahme an unserem Programm oft sehr wichtig. Sie werden zukünftig anderen Menschen mit Krebsdiagnose eine verbesserte Behandlungs- und Heilungschance ermöglichen“, sagt Prof. Weichert. Noch steht das Forschungsnetzwerk am Anfang. Zurzeit bauen die Initiierenden die Infrastruktur auf und konzeptionieren Untersuchungsketten, über die dann später die erhobenen Daten der Erkrankten verarbeitet werden. Das Ziel für das erste Jahr lautet: Verstehen und Charakterisieren. Die Hoffnung ist, dass in den kommenden Jahren bereits neue therapeutische Maßnahmen entwickelt und einer Vielzahl von Betroffenen zugänglich gemacht werden können. Die Herausforderung: Methoden zu finden, die bei möglichst vielen Menschen funktionieren. „Wir arbeiten zum Beispiel auch an bildgebenden Verfahren. Dann müssen wir uns nicht ausschließlich auf die Gewebeentnahme konzentrieren und können beide Techniken – Bildgebung und molekulare Gewebsuntersuchung – kombinieren. Außerdem schauen wir uns molekulare Veränderung mithilfe von Blutanalysen an“, fasst Prof. Weichert zusammen und unterstreicht: „Die Arbeit an unterschiedlichen Arten von Tumoren erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir etwas finden, was bereits sehr zeitnah angewendet werden kann.“ Mit dem interdisziplinären Ansatz bei Saturn3 sollen die identifizierten therapeutisch relevanten Prinzipien auch für andere Tumoren nutzbar werden. „So können wir schneller raus aus der Theorie und rein in die Praxis, um den betroffenen Menschen zu helfen.“

Autor: Jonathan Fasel