Adrenalinkick als Antrieb

Looping Achterbahn

Die klassische Achterbahn hat ausgedient. Blue Fire, Hyper Coaster und BigDipper heißen heutzutage die Fahrgeschäfte in den Vergnügungsparks dieser Welt. Je spektakulärer, desto besser. Was für die meisten Menschen jedoch purer Freizeitspaß ist, bedeutet für Dennis Gordt einerseits harte Arbeit, andererseits aber auch die Ausübung seines Traumberufs. Denn er konzipiert und designt Achterbahnen – und zählt damit zu einer deutschlandweit seltenen Zunft.

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Der Herzschlag beschleunigt sich, die Atmung wird schneller und der Blutdruck schnellt nach oben. Von 0 auf 100 km/h in drei Sekunden, G-Kräfte drücken den Körper in den Sitz. Dieser Moment des Adrenalinkicks: Das ist es, was Dennis Gordt so fasziniert. Ihn – und 300 Mio. Menschen weltweit, die jährlich mit einer Achterbahn fahren. Seit seiner Kindheit haben die rasanten Fahrgeschäfte den 36-Jährigen in ihren Bann gezogen. „Ich weiß nicht, wie oft ich auf der Kirmes in Mannheim meine Runden gedreht habe“, erzählt er. Seitdem trieb ihn der Gedanke um, etwas zu entwickeln, an dem andere Menschen Freude haben. Für ihn stand deshalb früh fest: „In dieser Branche will ich arbeiten.“ Im Rahmen seiner Diplomarbeit kam der Maschinenbau-ingenieur zu Mack Rides. Heute arbeitet er dort als Leiter Layout-Entwicklung und Simulation. „Ich erstelle die Choreografie einer Achterbahn.“

Porträt Dennis Gordt

Das 1780 von Paul Mack gegründete Unternehmen Mack Rides widmete sich zu Beginn dem Bau von Fuhrwerken, vorrangig Postkutschen. 1920 stieg die Firma in die Fertigung von Fahrgeschäften ein. Im Jahr darauf wurde die erste Holzachterbahn realisiert, die erste mit Benzin betriebene Bahn folgte 1936. Mit der Wilden Maus entstand 1957 ein Klassiker, der heute nahezu auf jedem größeren Volksfest zu finden ist. „Sicher denken die meisten Menschen, dass ich meinen Arbeitstag größtenteils in der Achterbahn verbringe“, sagt Dennis Gordt schmunzelnd. Tatsächlich macht die klassische Schreibtischarbeit 90 % seines Alltags aus. Am Anfang eines Projektes steht für ihn die Machbarkeitsprüfung. Große Freizeitparks wie Universal Studios kommen mit fertigen Designs zu ihm. Kleinere Kunden wiederum haben lediglich eine grobe Vorstellung im Kopf. Dann entwickelt er gemeinsam mit ihnen das Konzept. Dabei spielen Faktoren wie das Thema der Bahn, das Gelände und die geplante Auslastung eine Rolle, ebenso wo der Bahnhof, sprich der Einstiegsbereich, sein wird und wie viel Platz für die Streckenführung zur Verfügung steht. „Es empfiehlt sich deshalb, das Areal im Vorfeld einmal zu besichtigen, um einen besseren Eindruck zu bekommen“, erzählt er. Auch das Budget muss berücksichtigt werden. Eine Achterbahn kann mitsamt seinen mehreren Millionen Einzelteilen zwischen 3 Mio. und 50 Mio. € kosten. Ein weiterer Aspekt ist der Antrieb. „Der Launch Coaster etwa hat einen Linear-Synchron-Motor mit Permanentmagneten. Die Bahn startet anders als die klassische Kettenlift-Bahn – am Boden. Mehr als 2.000 PS beschleunigen den Zug innerhalb weniger Sekunden von 0 auf über 100 km/h.“

2.000 Leerfahrten für die Sicherheit

Steht das Konzept, beginnt für Dennis Gordt die eigentliche Arbeit. Gemeinsam mit seinem vierköpfigen Team kann er die Daten für die Schienen exakt berechnen, die Mack Rides als einer der wenigen Hersteller selbst fertigt. Die meisten Programme für die Berechnung haben die Ingenieure ebenfalls selbst entwickelt, denn für diese doch sehr spezielle Branche gibt es nur wenig herkömmliche Software. Daneben benutzen sie zudem CAD- und FEM-Programme. Die Wege zur Abstimmung mit den Handwerkern und dem Engineering-Department sind aufgrund der Eigenproduktion kurz. „Das ist ein großer Vorteil“, sagt Gordt, denn eine enge und regelmäßige Abstimmung mit den einzelnen Abteilungen ist vor dem Hintergrund des Sicherheitsaspektes immens wichtig.

Die Gewährleistung der Sicherheit hat für die Achterbahn-Ingenieure – trotz der Jagd nach Nervenkitzel – stets oberste Priorität. Je nach Land und Norm gibt es unterschiedliche Bestimmungen, wie viele Stunden Leerfahrt eine Bahn absolviert haben muss, bevor die ersten Fahrgäste einsteigen dürfen. Während China 80 Stunden fehlerfreien Betrieb vorschreibt, sind in Deutschland in der Regel 2.000 Runden sowie diverse Beschleunigungstests erforderlich. Der TÜV inspiziert jährlich jede Schraube und jede Schweißnaht genauestens. „Die Lebensdauer ist im Prinzip auf unendlich ausgelegt.“ Allerdings werde nach 20 bis 30 Jahren die Wartungszeit aufgrund von korrosionsbedingten Verschleißerscheinungen am Stahl zunehmend länger. Dennoch betont der Experte: „Die Achterbahn ist das verkehrssicherste Fahrzeug der Welt.“ Natürlich sei er vor Jungfernfahrten nervös. Immerhin sind die Bahnen an 365 Tagen im Jahr in Betrieb, bis zu 16 Stunden täglich, mit im Schnitt 1.400 Fahrgästen in der Stunde. „Aber ich habe vollstes Vertrauen in unser Know-how. Unsere Berechnungen sind sicher und haben sich über die Jahre bestens bewährt.“ Ein Projekt dauert durchschnittlich zwei Jahre von der Entwicklung bis zur Fertigstellung. Rollt die Achterbahn, ist auch die Arbeit für Dennis Gordt beendet. Wartung, Inspektion und Reparaturarbeiten fallen nicht in seinen Zuständigkeitsbereich.

Auch wenn die Konzeption und die Berechnungen mittlerweile zur Routine gehören: Langeweile kommt bei Dennis Gordt nicht auf. Je nach Kunde, je nach Projekt gibt es immer wieder neue Herausforderungen. Außergewöhnlich war für ihn der Bau des Helix, einer Stahlachterbahn mit elektromagnetischer Beschleunigung im schwedischen Göteborg. Der dortige Vergnügungspark
Liseberg liegt an einem Berghang. „Wir mussten die Anker für das Fundament direkt in die Felsen hineinsprengen.“

Erste Achterbahn der Firma Mack

Milimetergenaue Berechnungen

Die Achterbahn sollte sich durch andere Fahrgeschäfte hindurchschlängeln. „Teilweise rasen die Wagen nur wenige Zentimeter aneinander vorbei.“ Eine millimetergenaue Berechnung sowie ein präzises Timing waren bei dem Vorhaben das A und O. Bei Universal können Fahrgäste hingegen in spektakuläre Filmwelten eintauchen. Attraktionen mit VR-Coaster-Technik sind der neueste Trend. Per Virtual-Reality-Brille reisen Fahrgäste mit Harry Potter nach Hogwarts oder fliegen mit Superman durch die Lüfte. „Mit dieser Methode eröffnen sich uns ganz neue Möglichkeiten."

Solche Projekte machen für Dennis Gordt den Reiz seines Berufes aus: „Die Achterbahn ist ein Klassiker. Durch die technischen Innovationen können wir ihn aber immer wieder neu erfinden.“ Für ihn als Privatperson hat die Lust am Fahren berufsbedingt über die Jahre nachgelassen, gibt er zu. Wenn er allerdings mit seiner Familie einen Freizeitpark besucht und das Strahlen im Gesicht seiner dreijährigen Tochter sieht, die begeistert in einer von ihm konzipierten Kinderachterbahn ihre Runden dreht, „dann ist das schon ein tolles Gefühl“.

Elisabeth Stockinger

Elisabeth Stockinger
PR-Beraterin und Redakteurin bei Dialog Public Relations