Bioplastik: Der Natur auf die Finger geschaut

Biokunststoffe

Kunststoffe sind heute allgegenwärtig. Doch basieren sie fast alle auf der endlichen Ressource Erdöl und belasten Natur sowie Nahrungsketten, da eine beträchtliche Menge weder recycelt noch verbrannt und in der Umwelt erst nach Jahrhunderten abgebaut wird. Einen Ausweg verspricht kompostierbares Bioplastik. Doch liegt hierin tatsächlich das Allheilmittel zur nachhaltigen Müllvermeidung?

Mehr als viermal so groß wie die Fläche Deutschlands ist der Great Pacific Garbage Patch, ein gigantischer Plastikteppich, der durch eine Meeresströmung zwischen Hawaii und Nordamerika zusammengetragen wird. Erstmals 1997 beobachtet, bedeckt er heute 1,6 Mio. km² – Tendenz steigend. Wind und Wellen schreddern den Kunststoffmüll, der jedoch nur langsam zu mikroskopisch kleinen Teilchen verwittert und so in den Mägen von Fischen und Seevögeln landet.

Jährlich werden 335 Mio. t Plastik weltweit hergestellt. Doch nur 2 % davon werden laut einem Bericht des Weltwirtschaftsforums aus 2016 vollständig recycelt. 32 % der Kunststoffverpackungen gelangen unkontrolliert in die Umwelt und belasten dadurch unsere Nahrungsketten. Dabei geht es auch anders: Mit schätzungsweise 200 Mrd. t pro Jahr ist die Natur mit Abstand größter Produzent von Kunststoffen, genauer von sogenannten Polymeren wie etwa Cellulose, Stärke und Protein.

Polymere

Polymere sind lange Moleküle, die durch Verkettung einfacher Bausteine (Monomere) entstehen. Die Menge an Polymeren, die der Mensch künstlich im Jahr herstellt, schafft die Natur an etwas mehr als einem halben Tag. Trotz der gewaltigen Menge sorgen natürliche Recyclingprozesse dafür, dass nach Gebrauch kein Gramm als Restmüll übrigbleibt. Was macht die Natur also anders als der Mensch? Robert Cunningham, Direktor am Wyss Institute for Biologically Inspired Engineering, einer interdisziplinären Forschungseinrichtung der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, hat eine Antwort: „Die Natur schafft Komplexität durch Selbstorganisation, ohne steuernde Elemente von außen. Wenn sie also ein neues Polymer kreiert, organisiert sie simultan die Prozesse zu dessen Abbau.“ 

Natürliche Evolution und industrielle Prozesse

Evolution durch Selbstorganisation braucht Zeit – und die hat der Mensch in seiner industriellen Produktion nicht. Doch die Wissenschaftler des Wyss Institute versuchen, die Ergebnisse der sanften, natürlichen Evolution in industrielle Prozesse einzuschleusen. Ein Beispiel ist das Bioplastik Shrilk, welches dem Vorbild der Cuticula, einem vielseitigen Baumaterial der Insekten folgt. Die mechanischen und chemischen Eigenschaften der Cuticula variieren in einer erstaunlichen Bandbreite: Sie kann als hartes, steifes Material für Panzer, Flügel und Mundwerkzeuge ausgebildet sein oder als weiches, elastisches für Gliedmaßen, Gelenkmembrane und die Hülle vieler Insektenlarven. Das Material besteht aus wechselnden Schichten von Chitin und Protein. Chitin ist ein Biopolymer, das chemisch eng mit der Cellulose verwandt und nach ihr der zweithäufigste Naturstoff ist.

Chitin

„Das Chitin für unser Shrilk wird aus den Schalen gewonnen, die als Abfall in großer Menge beim Krabben- und Garnelenfang anfallen“, erklärt Cunningham die Herstellung. „Eine aus Chitin gewonnene chemische Variante, das Chitosan, bringen wir als dünnen Film auf eine Glasoberfläche auf. Auf diesen Film dampfen wir eine Schicht aus Fibroin, dem Faserprotein der Seide.“ Shrilk ist ein Kofferwort aus „shrimp“ (Garnele) und „silk“ (Seide). Die Steifigkeit oder Elastizität von Shrilk hängt vom Wassergehalt ab. Chitosan kann auch mit anderen Materialien kombiniert werden, etwa mit Holzmehl. Dadurch produzieren die Wyss-Forscher Formteile, die sich zu nahezu allen Konsumgütern verarbeiten lassen, die heute aus erdölbasierten Kunststoffen bestehen – von Mobiltelefonen über Lebensmittelbehälter bis zu Spielzeug.

Der Clou: Sobald Shrilk in den Kompost oder eine natürliche Umgebung kommt, wird das Material schnell und ohne Rückstände biologisch abgebaut. Dabei entsteht vor allem stickstoffhaltiger Dünger. Zudem konkurriert die Herstellung nicht mit der Nahrungsmittelproduktion, wie es andere Biokunststoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe tun. Seit 2011 forscht das Wyss Institute bereits an Shrilk. Doch ist der industrielle Durchbruch noch nicht gelungen: „Die meisten Kunststoffprodukte werden durch Erweichen bei höherer Temperatur und anschließendes Aushärten beim Abkühlen hergestellt. Die Formgebung bei Shrilk erfolgt dagegen durch Wasserabgabe, ähnlich wie bei Ton und Keramik“, erläutert Robert Cunningham. Die Kunststoffindustrie kann Shrilk schlichtweg noch nicht auf bestehenden Anlagen verarbeiten.

Polylactide

Gute Marktchancen sieht Gerritsen vor allem für Polylactide (PLA) oder Polymilchsäuren, da der Rohstoff als Maisstärke und Zuckerrohr in großer Menge verfügbar ist. „Maisstärke ist ein Tierfutter und für Menschen nicht genießbar. Zuckerrohr wächst sehr schnell.“ PLA wird erzeugt, indem Stärke oder Zucker mithilfe von Bakterien zu Milchsäure aufgeschlossen und dann durch Wasserentzug zum Polymer kondensiert wird. In seinen Eigenschaften ähnelt PLA dem Massenkunststoff PET. An der Beseitigung einiger Nachteile gegenüber der Erdölkonkurrenz, etwa der höheren Durchlässigkeit für UV-Strahlen oder dem Erweichen bereits bei 45 °C, wird gearbeitet. „Zudem werden sich die Herstellungskosten mit steigender Nachfrage an die von PET angleichen“, ist Patrick Gerritsen überzeugt.

Gegenüber PET hat PLA zwei entscheidende Vorteile: Es erzeugt in der Herstellung nur die Hälfte an CO2 und ist kompostierbar sowie biologisch abbaubar. Damit eignet es sich besonders als Verpackungsmaterial für kurzlebige Nahrungsmittel wie Obst, Gemüse und Fleisch, aber auch zur Herstellung von Catering-Artikeln oder als Mulchfolie im Gartenbau. PLA wird auch im menschlichen Körper abgebaut, je nach Zusammensetzung und Porosität in wenigen Wochen oder mehreren Jahren. Medizinische Anwendungen für Implantate, die sich nach einiger Zeit auflösen, sind deshalb ein weiteres Wachstumsfeld. Bisher werden für PLA-Bioplastik europaweit aber gerade einmal 0,0002 % der Ackerfläche gebraucht.

Umstellung auf Bio-Verpackungen

Gerritsen schätzt, dass 80 % aller Verpackungen ohne großen Aufwand auf Bio umgestellt werden könnten. Die Niederlande, Hauptabsatzmarkt für Bio4Pack, sind auf einem guten Weg. In Deutschland sucht man Bioverpackungen in den Supermärkten noch vergeblich. Die Gründe für dieses Zögern sind vielfältig: In deutschen Kompostieranlagen liegt die Verweildauer der biologischen Abfälle aus Kostengründen bei nur vier Wochen. PLA aber braucht zwölf Wochen, um sich vollständig zu zersetzen. In Recyclinganlagen verursacht Bioplastik aufgrund seiner andersartigen Zusammensetzung Störungen bei der Aufarbeitung erdölbasierter Kunststoffe. Also müsste Bioplastik, das in den Gelben Sack gegeben wird, vorher aufwändig aussortiert werden, da sich eigene Recyclinglinien wegen der noch geringen Menge nicht lohnen. Zudem fürchten manche deutsche Politiker, dass die Entsorgungsdisziplin der Verbraucher sinken könnte, wenn „grünes“ Bioplastik flächendeckend eingeführt würde. Sie setzen lieber auf Mehrweglösungen, obwohl deren CO2-Bilanz aufgrund des höheren Transportaufwands schlecht ist.

Bioplastik Verpackungen

In den Niederlanden werden demnächst PLA-Verpackungen mit zwei verschiedenen Kennzeichen für Materialstärken über und unter 0,1 mm versehen. Die dicken gehen in die Gelbe Tonne und werden zu 100 % recycelt, die dünnen gehen in die Biotonne zur Kompostierung. Doch nicht nur die Deutschen tun sich schwer: Laut European Bioplastics wurden 2018 weltweit nur 2,11 Mio. t hergestellt, 0,6 % der gesamten Kunststoffproduktion. Selbst wenn die Experten recht behalten, die in den nächsten fünf Jahren einen Anstieg bei Bioplastik um 20 % erwarten, wären das in Relation immer noch nur 0,8 %. Dazu kommt, dass etwa 60 % des Bioplastiks nicht biologisch abbaubar ist und das Bio-Label nur führt, weil es aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird.

Aber ein Anfang ist gemacht. Scheich Ahmed Zaki Yamani, der frühere Erdölminister Saudi-Arabiens, sagte einmal: „Die Steinzeit ging nicht deshalb zu Ende, weil die Steine ausgingen. Und das Erdölzeitalter wird nicht enden, weil das Erdöl aufgebraucht ist.“ Bessere Techniken sind es, die Zeitenwenden einleiten. Die Biokunststoffe stehen in den Startlöchern.


FAQ Bioplastik

Hinter der Bezeichnung Bioplastik können sich verschiedene Produkte und Materialien verbergen. Bioplastik ist nicht automatisch abbaubar. Zudem muss unterschieden werden, ob die Produkte biologisch abbaubar, kompostierbar oder biobasiert sind. Grundsätzlich lassen sich Kunststoffe aber in biologisch abbaubare und nicht biologisch abbaubare Varianten einteilen. Biologisch abbaubar bedeutet dabei, dass Mikroorganismen aus der Umwelt eine Zersetzung der Produkte – über einen längeren Zeitraum - vornehmen können. Voraussetzung dafür ist, dass die chemische Struktur des Produktes eine Zersetzung möglich macht. Wenn die Zersetzung unter bestimmten Bedingungen in einem festen Zeitraum möglich ist, wird von kompostierbaren Kunststoffen gesprochen. Diese lassen sich sowohl in industriellen Kompostanlagen (bei 60 Grad in max. 12 Wochen) als auch auf dem eigenen Kompost (bei 30 Grad innerhalb eines Jahres) zersetzen.

Wie lange Bioplastik braucht, um sich zu zersetzen, hängt von den Kunststoffen sowie von den Bedingungen der Zersetzung ab. Grundsätzlich gilt, je höher die Temperaturen, desto schneller lässt sich Bioplastik abbauen. Hierfür ist jedoch wichtig, dass er aus kompostierbaren Kunststoffen besteht. Es kann mehrere Jahre oder auch nur einige Monate dauern, bis die Stoffe abgebaut sind.

Für die Entsorgung ist entscheidend, ob es sich um kompostierbare oder nur biologisch abbaubare Kunststoffe handelt. Biologisch abbaubare Kunststoffe brauchen teilweise mehrere Jahre und bestimmte Bedingungen für die Kompostierung. Diese können daher nicht einfach auf den Kompost oder in die Biotonne. Auf dem eigenen Kompost und in den klassischen Kompostieranlagen fehlen die nötigen Temperaturen. Biologisch abbaubarer Plastik gehört daher in den gelben Sack. Produkte, die als kompostierbare Ware ausgewiesen sind, können hingegen auf den eigenen Kompost oder in industriellen Kompostanlagen zersetzt werden.

Illustration Dr. Schrank

Dr. Ralf Schrank
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